Fremde Frau

[Teestunde]

Abgesehen vom "Daumen hoch" konnte ich die Chansonnette leider zu keiner Äußerung bewegen. Schade, hätte mich mal interessiert.

 

[Realist]

Also sooo schlecht finde ich den Text jetzt nicht, dass ich ihn verwerfe. Man kann alles auch noch anders erzählen. Alles!

Also gut, genauer gefragt: Wann ergäbe sich denn die Gelegenheit für den Interpreten, sich selbst in die Schuhe des Alzheimerkranken zu stellen ohne zunächst Irritationen auszulösen? Nenne mir doch bitte wenigstens EINE Möglichkeit.
Aus der Perspektive des betroffenen Angehörigen gibt es da mehr Chancen.

Das Thema ist m.M. von beiden Seiten schwierig.
Was ein an Demenz erkrankter Mensch wirklich denkt und fühlt weiß man ja immer noch nicht so genau. Man kann sich da auch schwer reinversetzen.
Es gibt ein Buch wo Vater und Tochter es versucht haben.
https://www.beltz.de/sachbuch_ratgeber/buecher/produkt_produktdetails/8452-ich_habe_alzheimer.html
Oft wird es auch so erklärt, dass die Erkrankten auf einer Art Insel leben, wo rings um sie herum Nebel ist.
Man muss sich auf diese insel begeben um an sie heranzukommen.
Um jüngeren Leuten das Thema nahe zu bringen könnte man auch lapidar sagen, die Betroffenen leben in der Matrix.

Ich arbeite seit einiger Zeit selbst mit Demenz und Alzheimer Erkrankten und kann sagen, dass viel über die Gefühlsebene läuft, je weiter die Krankheit fortgeschritten ist.
Die Erkrankten merken sehr schnell ob Du es ernst meinst und mit ihnen fühlst oder nicht und reagieren auch dementsprechend. Oftmals kommt die Aggressivität halt ungefiltert durch, was einen erstmal erschrecken kann.
Das ist aber eher ein Zeichen, dass man selbst wohl irgendwas falsch gemacht hat. Wenn man jetzt nochmal an die Insel und den Nebel denkt ist es wohl so, dass da auch ne Menge Unsicherheit, Angst usw. mit reinspielt.
Wenn ich mich da reinversetze ist es für mich auch logisch, dass viele Betroffene so reagieren. Sie wissen nicht, dass sie sich nicht mehr richtig artikulieren können und denken sie sprechen ganz normal, also warum gibt mir der Typ jetzt nicht etwas zu trinken, obwohl ich doch so nett darum gebeten habe.
Dann gibt es noch Klienten, die neben Demenz auch noch eine andere psychische Krankheit wie Schizophrenie haben. Da wird es dann nochmal um einiges schwieriger.

Was ich bisher aus Sicht der Angehörigen erlebt habe ist, dass viele sehr lange brauchen, eh sie akzeptieren das die Betroffenen wirklich krank sind und es eine schwere Krankheit ist, die mit dem Tod endet.
Bei uns in der Einrichtung haben wir eine Etage mit betreuten Wohnen, wo die Bewohner noch selbst autark sind und noch 3 Bereiche, wo 1 Bereich den schwer dementen Klienten vorbehlaten ist.
Eine Dame ist jetzt nach gutem Zureden unserer Chefin vom betreuten Wohnen in den Demenz-Bereich gewechselt. Heute hat sie vom MDK Pflegestufe 5 bekommen. Die Tochter redet es immer noch schön und findet es "übertrieben".
Auf eine Weise kann ich sie verstehen und ich denke es wird nocht etwas Zeit brauchen, bis sie es akzptiert.
Es war aber definitiv das Beste für ihre Mutter, die nicht mehr alleine leben kann.

In solchen Fällen kommt aber oftmals auch hinzu, dass die Betroffenen im Anfangsstadium natürlich sehr viel tun um die Krankheit vor Aussenstehenden zu verbergen. Aus dieser Sicht könnte ich mir schon enen Text aus Sicht des Betroffenen vorstellen, aber dann müsste der Text wahrscheinlich noch etwas weiter umgemodelt werden.

 

[Teestunde]

In solchen Fällen kommt aber oftmals auch hinzu, dass die Betroffenen im Anfangsstadium natürlich sehr viel tun um die Krankheit vor Aussenstehenden zu verbergen.

Das kenne ich! Das geht so weit, dass die Angehörigen vom Betroffenen regelrecht ausgelacht werden, wenn sie vorsichtig durchblicken lassen, dass da was nicht stimmt. Und obwohl der Kranke schon in den Korridor gekackt hat, weil er das Klo nicht mehr fand, mussten seine Leute sich seine Beschimpfungen gefallen lassen.

Aus dieser Sicht könnte ich mir schon enen Text aus Sicht des Betroffenen vorstellen, aber dann müsste der Text wahrscheinlich noch etwas weiter umgemodelt werden.

Das sind dann die höheren Weihen. Aber das traue ich mir nicht zu. Hab mich gerade mit dem Gedanken angefreundet, den Text aus der Sicht des Angehörigen zu "verdichten". Dauert aber noch.

 

[Realist]

In solchen Fällen kommt aber oftmals auch hinzu, dass die Betroffenen im Anfangsstadium natürlich sehr viel tun um die Krankheit vor Aussenstehenden zu verbergen.

Das kenne ich! Das geht so weit, dass die Angehörigen vom Betroffenen regelrecht ausgelacht werden, wenn sie vorsichtig durchblicken lassen, dass da was nicht stimmt. Und obwohl der Kranke schon in den Korridor gekackt hat, weil er das Klo nicht mehr fand, mussten seine Leute sich seine Beschimpfungen gefallen lassen.

Ich glaube, dass ist für beide Seiten auch mit die schwierigste Phase. Die Angehörigen müssen akzeptieren, das etwas nicht stimmt und der Betroffene weiß in dem Stadium natürlich auch das hier irgendwas schiefläuft. Für die Betroffenen sind solche Situationen natürlich auch sehr peinlich, sofern sie es in einem lichten Moment vielleicht noch realisieren. Im fortlaufenden Stadium werden die lichten Momente immer weniger bzw. sind dann gar nicht mehr vorhanden. In den lichten Momenten das Gefühl der Scham stelle ich mir sehr grausig vor.und kann mir schon vorstellen, dass es dadurch schon zu unkontrollierten Gefühlsausbrüchen kommt. Die Beschimpfungen kommen, wie schon geschrieben, natürlich dann ungefiltert, weil es oftmals auch nicht mehr mit der Artikulation klappt. Da kommen dann schonmal so Sachen wie Wichser oder Pisser. Das darf man aber nicht an sich ranlassen und ist auch nur ein Ausdruck, dass die Dame oder der Herr gerade keinen Bock auf Dich hat. Die sagen dann halt nicht: "Das ist mir gerade etwas unangenehm und ich möchte da jetzt nicht weiter rüber sprechen. Eigentlich möchte ich mal kurz alleine sein."
5 Minuten später ist dann eigentlich immer alles im Lot.

 

[Teestunde]

Ich hab Respekt vor den Helfern. Besonders davor, dass sie das durchhalten, obwohl da wahrscheinlich nicht viel zurückkommt. Anders als bei einer Kindergärtnerin, beispielsweise. Ich wünsche dir jedenfalls Kraft! Danke, dass du mir ein bisschen erzählt hast.

 

[Realist]

Ich hab Respekt vor den Helfern. Besonders davor, dass sie das durchhalten, obwohl da wahrscheinlich nicht viel zurückkommt

Danke.
Da kommt schon etwas zurück, sonst würde ich das nicht machen. Das hast Du in deinem Text ja auch mit dem Lächeln beschrieben.Da gibt es aber auch noch andere Dinge. Ich bin nicht nur ausschliesslich im dementen Bereich tätig, obwohl es erschreckend mehr wird. Wir können gar nicht soviele Patienten aufnehmen, wie Anfragen bestehen. Da gibt es eine Warteliste bis Meppen. Die Prognosen lauten, dass es in den kommenden Jahren noch mehr Leute geben wird, die von Demenz betroffen sind.

 

[artname]

Da kommt etwas zurück. Meine wichtigste Erfahrung: Bring einen dementen Patienten zum Lächeln, er profitiert länger davon als die Anderen. Und das beste Mittel, das zu erreichen? Selber lächeln. Ich hab mich als Sänger und Musiker nie wieder so offen und herzlich hingegeben, wie bei meinen dementen Mitstreitern.

 

[Teestunde]

Da kommt etwas zurück.

Da kommt schon etwas zurück

In diesem Fall lasse ich mich besonders gern belehren. Aus privaten Gründen. Näheres gern per PM.

Gestern Nacht noch einen "Verdichtungs"-Versuch gestartet und über die erste Zeile nicht hinausgekommen. Ich werde mal all die Vorschläge beherzigen, die mir im Laufe der Zeit gemacht wurden und den Text tatsächlich eine Weile liegen lassen.
Danke vorläufig an alle, die so nett waren, hier ihren Kommentar zu hinterlassen.

 

[RockIngenieur]

Ja, aber weniger Wortspiel... einfache zusammenhangslose Aneinanderreihung von Gesehenem und Gedachtem im letzten Abschnitt ohne tiefen Sinn; davon aber zum Schluß wenig. Dafür das immer öftere Abgleiten in präzise längst vergangene Erinnerungen...

Klingt zunächst schwierig, dürfte aber machbar sein.

Auf jeden Fall beschäftigt mich das momentan sehr - daher habe ich meinen amateurhaften Textkünsten zum Trotz doch gestern noch damit angefangen...

Allerdings schreibe ich auf Englisch - habe das Gefühl, dass ich dort sprachlich mehr verbiegen kann ohne dass es negativ auffällt...
Dazu ist mir gerade noch eine lang gehegte Skizze eines Songs eingefallen, der schon ewig auf einen Text wartet und zu dem es nur Schlüssellaute an bestimmten Stellen gibt. Und siehe da, darauf kam dann gleich ein passender Refraintext zustande...

Das schwierige sind allerdings die Strophen - da habe ich das Gefühl, dass ich mir die hart erarbeiten muss....
Wird also was dauern, bis Ergebnisse kommen. Auf jeden Fall schon ganz lieben Dank an die Beteiligten in diesem Thread für die Inspiration !!

 

[Teestunde]

Für meine Verhältnisse ist das jetzt schon extrem verdichtet. Oder einfach nur anders erzählt?

Der Fremde im Spiegel

Der Fremde im Spiegel
nimmt dich nicht mehr wahr.
Am Kühlschrank noch Zettel
vom vorigen Jahr.
Im Backofen Strümpfe,
im Brotfach Salat.
Dazu dein Geschimpfe,
du brauchst keinen Rat.

Du irrst durch die Straßen,
du schaust auf die Uhr,
doch Schilder und Zahlen
verwirren dich nur.
Das Foto von Oma
erkennst du nicht mehr.
Zu deinem Geburtstag
das Wirtshaus bleibt leer.

Wenn’s im Gehirn doch noch mal blitzt,
und du dich wieder selbst besitzt
drei kostbare Minuten lang,
bin ich nach dir wie heimwehkrank.

Mit jedem Tag verschwindet mehr
von dir, trotz deiner Gegenwehr.
Mein ganzes Hoffen dahin geht,
dass du nicht weißt, wie’s um dich steht.

Dein eigener Name
entfällt dir nun auch.
Du bist eine Insel
umgeben von Rauch.
Fast nie dringt mein Lächeln
noch durch bis zu dir.
Dann sagst du ganz fassungslos:
„Du bist ja hier!“

Wenn’s im Gehirn doch noch mal blitzt,
und du dich wieder selbst besitzt
drei kostbare Minuten lang,
bin ich nach dir wie heimwehkrank.

Mit jedem Tag verschwindet mehr
von dir, trotz deiner Gegenwehr.
Mein ganzes Hoffen dahin geht,
dass du nicht weißt, wie’s um dich steht.