Hallo Teestunde und Mama,
Ich empfinde den Text wortwörtlich "oberflächlich". Der Text liest sich für mich neutral und kontrolliert wie die Oberfläche eines Verbrechens in einem Polizeibericht. - Er scheint außerdem auf EINE (mich nicht interessierende) moralische Aussage konzentriert: Tolerierbar oder nicht?
Diesen im Grunde sachlichen Tonfall eines neutralen Erzählers findet man in manchen Schlagerstrophen der 60iger Jahre.! Meistens wird dort dann wenigstens im Refrain kräftig auf die Tränendrüse gedrückt. Poptexte betonen hingegen meist die Gefühlswelt. Seltsam nun an diesem Text ist vor allem die gleichgültige Tonlage der Ich(!)-Erzählerin
Interessant, was holgi schreibt
Bei Texten versuche ich mich wieder zuerkennen, etwas zu entdecken was ich auch in mir finde. Ich stelle mir also vor das ich am Tisch sitze und meine Frau mir sagt das sie einen Liebhaber hat weil ich nicht mehr so toll ankomme, wegen all den Jahren, der vielen Arbeit, dem ganzen Geld usw usf.
Warum sagt sie mir das? Um mich nicht zu belügen? OK, einverstanden, warum jedoch beginne ich herzergreifend zu weinen und sie tröstet mich und alles ist wieder gut? Weil ich an mir meine Fehler entdecke? Weil ich an ihr ihre Verzweiflung sehe?
Das klingt für mich ganz leise nach Grönemeyers "Was soll das". Dort sind nicht die Fakten, die "Was soll das" zum Riesenhit machten. Es ist der hasserfüllte und unterdrückte Schrei der Fragen, die alle mit einem peitschenden Ausrufezeichen enden. Nix von Schilderung. Der sieht Rot! Kostenproben:
Ein Anblick, den man gerne sieht! Was soll das! ... meine Faust will unbedingt in sein Gesicht!.. Und darf nicht!.... Hat Euch beim Wühlen in den Kissen denn das Gewissen nie gebissen! warum hast du mich so schnell abgelebt!... Seit wann zieht 's dich zu Vetteln hin!... Aber DER muss es ja wirklich nicht sein!
Euer Text wäre für MICH wohl eher die Skizze einer Idee. die es nun
emotional glaubwürdig zu schreiben gilt. Zunächst würde ich mich entscheiden, aus welcher Perspektive ich das erzähle. "Sie" ist die Siegerin. Sie hat die Fakten geschaffen. Da gibt es eigentlich nicht mehr viel zu finden, außer hilflosen Beschwichtigungen.
Er ist momentan das Opfer. Er steht gerade vor einem Trümmerhaufen. Egal, wie hart ihn das trifft. Das ist die interessantere Erzählposition. Da ist alles möglich.
Nehmen wir mal die umstrittenen Tränen. Da hinter kann sich für mich pures Selbstmitleid verstecken: "Scheisse, Papa, ich bin tatsächlich ein Loser!" - "Wie konnte ich ihr nur vertrauen" - "Ich könnte sie umbringen, aber selbst dazu bin ich zu feige".
Sie könnte aber auch eine höhere Dimension andeuten: "O mein Gott! Wen auf der Welt kann ich nun noch vertrauen! Das Leben ist nichts als grausam"
Sie könnten bloße Überforderung bedeuten: " O Mann, Ich bin völlig überfordert! Warum kann ich diese Scheiss Tränen nicht unterdrücken! "
Euer seltsam depressiver Tonfall resultiert mMn aus der Wahl der Perspektive. Und des minimalen Zeitraumes. Die Frau hat sich genommen, was sie wollte. Und so verhält sie sich auch: Ich tu dir jetzt einfach mal weh. Klatsch - und Ende. Traurig, aber wahr. Und trostlos. Hier würde ich eine minimale Musik hören, dem Ticken der Wanduhr angepasst. Alle 3 verlieren. SIE, ER, ICH. Ein kleiner Tod!
Gruss
P.S. Ich empfehle gelegentlich das Studium guter Filmdialoge. Dialoge sagen oft etwas anderes als die Figur in Wahrheit fühlt. Sie benutzen die Sprache oft als Maske für verletzte oder irritierte Gefühle.