Fremde Frau

[Teestunde]

Garantiert nicht Fernsehgarten-tauglich ist dieser Text. Obwohl er null Chancen hätte, jemals gespielt zu werden, will ich ihn euch vorstellen. Vielleicht gibt es ja Fans.

Fremde Frau

Der Spiegel zeigt dir eine fremde Frau,
die dich erschreckt, wenn du vorübergehst.
Die Worte sprichst und schreibst du ungenau
auf eine Weise, die nur du verstehst.

Und hast du einen Gegenstand verlegt,
dann kannst du weinen wie ein kleines Kind,
denn dein Gedächtnis ist wie leergefegt;
du meinst ganz sicher, dass es Diebe sind.

Ich habe dich so ungeheuer lieb,
obwohl dein Zustand mir das Herz zerfrisst.
Weil du nur noch als Leib vorhanden bist
und nichts von deiner Wirklichkeit mehr blieb.
Ich hoffe, alles wartet dort auf dich,
wenn du, von deinem Leiden einst befreit,
dich aufmachst zu dem Ort fernab der Zeit.
Die Hoffnung ist ein großer Trost für mich.

Seit Neustem findest du nicht mehr nach Haus
und deine Armbanduhr zeigt keine Zeit.
Auch drinnen kennst du dich jetzt nicht mehr aus –
ein Labyrinth der Ausweglosigkeit.

Du weißt nicht, wer dir gegenübersitzt,
und nichts von vierzig Jahren Eheglück.
Und wenn es im Gehirn doch noch mal blitzt,
dann kommt der Lichtschein nur sehr schwach zurück.

Ich habe dich so ungeheuer lieb,
obwohl dein Zustand mir das Herz zerfrisst.
Weil du nur noch als Leib vorhanden bist
und nichts von deiner Wirklichkeit mehr blieb.
Ich hoffe, alles wartet dort auf dich,
wenn du, von deinem Leiden einst befreit,
dich aufmachst zu dem Ort fernab der Zeit.
Die Hoffnung ist ein großer Trost für mich.
---------------------------------------------------------------
(Version mit dem neuen Refrain siehe #13,
neueste Version #90)

 

[Percy_Pösch]

Fan Nr.1

 

[Teestunde]

Freut mich.

 

[artname]

Hm... das Bedürfnis, sich unterhalten, ablenken zu lassen, haben garantiert Anhänger aller Musikrichtungen. Und den Fernsehgarten wiederum sehen garantiert am ehesten Senioren gern.

Ich bin kein Fan dieses Textes. Ich hatte beruflich mit dementen Menschen zu tun und habe manche geliebt für ihren generellen Charakter, der trotz und gerade wegen der Krankheit noch sichtbar bleibt. Manche gingen mir schwer auf den Geist. Wegen ihres Charakters.

Dir aber geht es hier um das Selbstmitleid des Lis. Das gibt mir ohne einfallsreiche Würdigung des LDs nichts!

 

[Teestunde]

Dir aber geht es hier um das Selbstmitleid des Lis. Das gibt mir ohne einfallsreiche Würdigung des LDs nichts!

Würdest du mir noch eine oder zwei erhellende Bemerkungen dazu schreiben? Ich kann mir den Satz nur schwer "übersetzen".

Genauer gefragt: Wie kommst du auf Selbstmitleid?

 

[artname]

Weil mich eine Liebeserklärung, die nur Krankheit enthält, nicht überzeugt. Weil ich keinen Kriegsfilm ohne Hoffnung und gute Taten sehen möchte. Weil ich eben liebe und bösartige dementen Menschen in Erinnerung habe, würde ich das noch immer Schöne trotz der Krankheit als Strophe wählen... Und nicht die Ohnmacht des scheinbar gesünderen Zuschauers.

 

[RockIngenieur]

Naja sagen wir mal so - ich habe nebst schweren Demenzfällen in der Familie auch natürlicherweise die Angehörigen gleich mit dazu...
Und da muss ich ehrlich sagen beschreibt der Text noch ein starkes LI. Das, was Demenz auch bei Angehörigen auslöst kann in der Realität weit über das oben geschriebene hinausgehen... und nicht nur als "Sonderfall"

Nicht umsonst hat der Film "Honig im Kopf" auch scharfe Kritik geerntet -> fürs Weichzeichnen...

 

[Teestunde]

@artname Danke für die Erörterung. Vielleicht sollte ich den Moment des "Blitzens" in den Refrain nehmen. Dass in den Moment, wo beim LD die Erinnerung zurückkommt, beim LI Hoffnung aufkeimt, die wieder für eine Weile Kraft gibt. Und dass in solchen Momenten die ganze Liebe wieder da ist, die das LI für das LD empfindet.

Nachtrag: hier mal eine erste Skizze, was ich meine:

Nur selten schaust du mich wie früher an,
doch bin ich voller Trost, wenn das geschieht,
weil sich mein Herz viel Hoffnung daraus zieht,
dass dein Verstand mich noch erkennen kann.
Nur selten dringt mein Lächeln durch zu dir,
doch der Moment, wo das zuweilen glückt,
macht mich vor weher Liebe fast verrückt,
weil dann dein Leben aufersteht in mir.

 

[Percy_Pösch]

Für mich ist dieses Reinfühlen und die Ohnmacht des LI eine interessante Momentaufnahme. Ich bräuchte da nichts Schönes oder Hoffnungsvolles. Und wo wir schon bei Kriegsfilmen sind, ich kann mich nicht daran erinnern dass es in "Full Metal Jacket" beispielsweise etwas Hoffnungsvolles gibt.

 

[Hörnchen]

Der Text für sich ist nicht nur gut, sondern wie ich finde sehr gut geschrieben.
Allerdings versetzt er mich in eine Art grüblerisches Koma, Deswegen schiebe ich ihn schnell beiseite,
um mich an dem jetzt und heute zu erfreuen.

Ein guter Dichter und Schreiber muss sich wohl gerade auch mit solchen sehr an die Nieren gehenden Geschichten
befassen, bevor er oder sie es dann zu Papier bringt.
Deswegen habe ich große Achtung vor solchen Künstlern, wie in diesem Fall der Teestunde.

 

[Teestunde]

Danke für die - ich bezeichne das mal so - Inschutznahme. Allerdings meinte ich zu verstehen, worauf Artname hinaus wollte. Ich sehe den Versuch, mich auf seine Bemerkungen einzulassen, als Herausforderung. In #8 steht der neue Refrain. Vielleicht gibt es Meinungen dazu? Ist er besser oder schlechter als der vorige?

 

[Percy_Pösch]

War weniger eine Inschutznahme, mehr eine Verweigerung irgendeinem Schema folgen zu müssen. Hollywoodfilme folgen meist diesem Schema. Das braucht es aber nicht unbedingt. Gibt auch andere gute Filme. Fuck the system!

 

[Teestunde]

Hier mal die Version mit dem neuen Refrain:

Fremde Frau

Der Spiegel zeigt dir eine fremde Frau,
die dich erschreckt, wenn du vorübergehst.
Die Worte sprichst und schreibst du ungenau
auf eine Weise, die nur du verstehst.

Und hast du einen Gegenstand verlegt,
dann kannst du weinen wie ein kleines Kind,
denn dein Gedächtnis ist wie leergefegt;
du meinst ganz sicher, dass es Diebe sind.

Nur selten schaust du mich wie früher an,
doch bin ich voller Trost, wenn das geschieht,
weil sich mein Herz viel Hoffnung daraus zieht,
dass dein Verstand mich noch erkennen kann.
Nur selten dringt mein Lächeln durch zu dir,
doch der Moment, wo das zuweilen glückt,
macht mich vor weher Liebe fast verrückt,
weil dann dein Leben aufersteht in mir.

Seit Neustem findest du nicht mehr nach Haus
und deine Armbanduhr zeigt keine Zeit.
Auch drinnen kennst du dich jetzt nicht mehr aus –
ein Labyrinth der Ausweglosigkeit.

Du weißt nicht, wer dir gegenübersitzt,
und nichts von vierzig Jahren Eheglück.
Und wenn es im Gehirn doch noch mal blitzt,
dann kommt der Lichtschein nur sehr schwach zurück.

Nur selten schaust du mich wie früher an,
doch bin ich voller Trost, wenn das geschieht,
weil sich mein Herz viel Hoffnung daraus zieht,
dass dein Verstand mich noch erkennen kann.
Nur selten dringt mein Lächeln durch zu dir,
doch der Moment, wo das zuweilen glückt,
macht mich vor weher Liebe fast verrückt,
weil dann dein Leben aufersteht in mir.

 

[Teestunde]

Das braucht es aber nicht unbedingt.

Ich hoffe, es "stört" nicht, dass ich nun doch noch mal geändert habe.

 

[Percy_Pösch]

Pff... mach doch was du willst. Wer keinen Oscar will, der hat schon einen

 

[Teestunde]

Ich habe tatsächlich einen: mein Sohn heißt Oskar.

 

[Turquoise]

Ich finde den Text auch fair genug und nicht selbstmitleidig. Wenn ich was zu kritisieren hätte, dann eher, dass er wieder ins ausführliche erzählen kommt, anstatt zu verdichten.
Die ersten beiden Zeilen mit 20 Silben ließen sich z.B. bis auf 9 Silben komprimieren:

die Fremde im Spiegel macht dir Angst

Aber das hängt letztlich auch von der musikalischen Umsetzung ab, und dann kann das auch genau so passen.
Das gelegentliche Aufblitzen erinnert an den Panther von Rielke.

 

[RockIngenieur]

Danke für die - ich bezeichne das mal so - Inschutznahme. Allerdings meinte ich zu verstehen, worauf Artname hinaus wollte. Ich sehe den Versuch, mich auf seine Bemerkungen einzulassen, als Herausforderung. In #8 steht der neue Refrain. Vielleicht gibt es Meinungen dazu? Ist er besser oder schlechter als der vorige?

Du bist einfach in ein früheres Stadium von Alzheimer geschlittert (was aber eine Rückkopplung für das LD nach sich ziehen müßte: in diesem Stadium hat nämlich der Betroffene viel erheblicher zu leiden, weil er in seinen wachen Momenten sein Unvermögen erkennt und daran höllisch leidet)

Mein Fazit bleibt: wie man es dreht und wendet ist das keine Krankheit für Hollywood-esque Hoffnung. Für keinen von beiden...
Das muss man m.E. auch mal so ausdrücken dürfen....

 

[Teestunde]

die Fremde im Spiegel macht dir Angst

Das ist mir nicht eindeutig genug, kann ja sein, dass hinter ihr wirklich eine Fremde steht, die ihr Angst macht. Da müsste man dann doch noch genauer werden.
Jaaa, Rilke! "Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille sich lautlos auf, dann geht ein Bild herein, geht durch der Glieder angespannte Stille und hört im Herzen auf zu sein." - Ich verehre ihn!

 

[Teestunde]

Mein Fazit bleibt: wie man es dreht und wendet ist das keine Krankheit für Hollywood-esque Hoffnung. Für keinen von beiden...
Das muss man m.E. auch mal so ausdrücken dürfen....

Okay. Mein Glück ist, dass Komponist und Interpret, so sie sich denn finden, auch noch ihr Votum einbringen. Da kann ich dann zwei Versionen zur Debatte stellen.