Ihr könnt mir doch nicht erzählen, dass ihr jede Art von Musik und ihren aktuellen Zeitgeist beherscht. Ich kann Trance machen, jedoch kein Trance, welches grad IN ist, genau so jedes andere Genre. Jemand, der nur Dubstep macht, kann es allemal besser, als jemand aus der ambient Szene.
Natürlich haben auch gefragte professionelle Komponisten ihre besonderen Stärken. Wenn man Klaus Doldinger bucht, bekommt man was anderes als von Norbert Jürgen Schneider oder etwa von Enrico Morricone. Filmproduzent und -regisseur werden sich genau überlegen, wenn sie einen Komponisten auf diesem hohen Niveau buchen wollen (und können).
Doch jeder der genannten is a) flexibel und hat sich b) hochgearbeitet. Bei Doldinger kann man beobachten, dass seine Filmmusik zum Teil erheblich von seinem Bandprojekt Passport unterscheidet. Er beharrt nicht auf seiner Lieblingsmusik, er liefert ab, was notwendig ist. Diese (und andere) Komponisten sind auf einem sehr hohen Niveau Persönlichkeiten.
Es gibt sehr viele Komponisten, die ein Kompositionsstudium hinter sich haben, wo sie gelernt haben, sich innerhalb kürzester Zeit neue Musikgenre anzueignen. Sie können nach ein paar Tagen Einarbeitungszeit in Stilen komponieren, in denen sie sich nie zuvor versucht hatten. Sogar in Stilen, die sie zuvor nie wahrgenommen haben. Weil sie gelernt haben, die Komponenten der Musik zu analysieren und zu reproduzieren.
Und von denen gibt es ganz viele da draußen.
Wenn du in deinem Stil so eingeschränkt bist und es deinem Willen nach auch bleiben willst, dann ist dagegen nichts einzuwenden. Nur wird dir niemand dazu raten, auf dieser Grundlage deinen Job zu schmeißen und damit selbstständig zu werden. Selbst im Gaming-Genre wird eine größere Palette abverlangt, als du zu liefern bereit bist.
Es könnte als Zubrot funktionieren, Nischenmusik für geeignete Projekte zu schreiben. Das es diese Projekte geben mag, glaube ich gerne. Das strategische Problem wird sein, den Produzenten genau dieser Projekte aufzufallen bzw. diese Projekte im frühen Projektstadium überhaupt zu finden. Es ist unglaublich schwierig, sich ein Netzwerk aufzubauen, wenn man 90% des Netzwerkes nichts zu bieten hat.
Mit einer sehr spezieller Musik müsstest du wenigstens auffallen. Also Musik veröffentlichen, die so originell und erfolgreich ist, dass die Produzenten auf die aufmerksam werden und sagen: "Ja, genau das will ich haben. Den buchen wir." Ein unwahrscheinliches Glücksspiel. Das das jemals ein Fulltimejob wird kann ich mir kaum vorstellen, zumal deine Tonbeispiele, so gut sie auch sind, eine so einmalige, auffällige Stimme nicht erkennen lassen. (Sorry, wenn ich mich irre, bin in diesem Genre nicht zuhause)
Ich gehöre nicht zu denen, die anderen abraten, ihren Weg zu gehen, weil jeder Weg eines Musiker irgendwie steinig und ungewiss ist und man nur mit großer Risikofreude in ein Musikerleben starten darf. Aber in deinem Fall solltest du deine Wünsche und Skills abwägen gegen die Erfordernisse des Marktes und auf jeden Fall Projekte generieren und erfolgreich abschliessen, bevor du deinen Job an den Nagel hängst. Und prüfen, ob du als Musiker nicht auf anderem Weg glücklich werden kannst.
Und natürlich solltest du auch deinen Job einer Überprüfung unterziehen. Jobwechsel, neue Branche, neuer Einsatzort etc. können dir deinen Frust in dieser Hinsicht eventuell nehmen.
