Text über Heimat

[User70408]

@artname

Klar gibt es ein "Zuhause" das auch mir wichtig ist, mein Zuhause ...
Aber dieses Zuhause kann grundsätzlich überall sein, es muss nicht ortsgebunden sein.
Dann gibt es auch noch Kindheitserinnerungen die man vielleicht mit einer Gegend, bei mir die Donau, die Donauauen in Verbindung bringt.

Ich hatte das Glück viele Jahre als Trainer von Spitzensportlern durch die Welt zu ziehen.
Von Oktober bis März trainierten/lebten wir auf der südlichen Halbkugel - Orlando, Südafrika, Bermudas, LaReunion, u.a. - das restliche Jahr tingelten wir zu den Wettkämpfen.
Oft in einer Woche in 3 verschiedene Länder dieser Erde.

Das tollste Erlebnis waren die Olympischen Spiele 1996 in Atlanta und 2000 in Sydney.
Junge, hoffnungsvolle Menschen aus mehr als 200 Nationen auf engstem Raum im olympischen Dorf ...
Da bekamen für mich Worte wie - "Heimat", "Friede", "Toleranz", "Grenzen" eine ganz andere Dimension.


.

 

[artname]

Wow. Ich muss jetzt. Aber das sind für mich überraschende Informationen und schöne Gedanken und Bilder für meinen Fußmarsch. Danke und bye.

P.S. Verrätst du auch noch die Sportart?

Bei diesen Bildern von Euch allen reift ungewollt in mir der Wunsch, einen positiven Song über unseren so seltsame Gemeinachaft schreiben zu wollen. Wir sind ja alle interessante Typen aus Fleisch und Blut... auch wenn unsere geschriebenen Kommentare so oft ziemlich gleichförmig klingen!

Lg

P.S. Ist das Forum auch Heimat?

 

[User70408]

P.S. Verrätst du auch noch die Sportart?

Leichtathletik - Sprinter

P.S. Ist das Forum auch Heimat?

"Interessensheimat" oder "Gedankenheimat" ?

Hier noch mal ein Stück Musik: "Heimatland" vom Liedermacher "Dominik Plangger"

 

[SoulFrontier]

Tja Andi, das ist nicht gut, aber ich bin das gewöhnt

Es ist einfach so dass nicht jeder auf den billigen Leim kriecht.

Di Sache mit dem Fühlen von Dingen “im Blut“
@ holgi und artname

Sehr interessant!

Als wir nach Mecklenburg zogen war das für meine Frau sehr sehr schwer. Sie ließ ihre Heimat und Familie hinter sich und weit weg.
Ihre Kollegen sagen ihr damals hier weint man zweimal. Das erste Mal wenn man ankommt und das zweite Mal wenn man wieder weg muss. Meine Frau war damals zutiefst unglücklich! Und liebt heute unsere Heimat und will und muss nie wieder weg.

Aber ich wollte was Anderes erzählen. Sie hatte schon immer ein Faible für orientalische Musik und überhaupt den Orient.

Wir sind dann zu einem runden Geburtstag mal nach Istanbul geflogen. Überall wurde meine Frau auf türkisch angesprochen, es war auch so, dass sie böse, missfällige Blicke von türkischen Frauen bekam als sie Hand in Hand mit mir abends in einem Viertel weit ab der City spazieren ging (unser kleines Hotel lag simpel dort).

Auf den großen Basar dann waren wir bei Jugoslawen, sorry, ich weiß nicht mehr aus welchem Land, sie waren jedenfalls extrem herzlich und sie haben meine Frau geherzt und sagten Ihr, als sie erzählt dass sie aus Deutschland kommt und stammt aber hier alle Türken meinen sie sei Türkin, “Du bist Eine von uns, keine Frage!“ Das war schon strange!

Am Flughafen dann vor dem Rückflug stellen wir uns bei EU an. Und ein türkischer Sicherheitsmensch mit Uniform kommt und beschimpft auf türkisch meine Frau.
Wir verstehen nix aber er zeigt auf die Schlange vor dem Schild “Türken“. Oh mein Gott, der Mann war kaum zu beruhigen und meine Frau musste ihren Pass zeigen. Dann hat er sich entschuldigt.

Hat das was mit Heimat zu tun? keine Ahnung, ihre Oma als junges Mädchen oft als Zigeunerin beschimpft wurde, Türken nachweislich in der Gegend lebten und auch ein griechisches Regiment während des ersten Weltkrieges dort stationiert war wo die Familie meiner Frau herkommt.
Möglichkeiten gibt es viele. Ich hab nie gedacht dass meine Frau südländisch aussieht. Für mich war das auch sehr überraschend alles. Sie trägt auch keine Kopftücher
Niemand kommt hier auf den Gedanken sie könnte Türkin sein oder vom Balkan.
Sie friert schon bei über zwanzig Grad und brauchte selbst auf Mallorca dicke Socken nachts. Sie kommt mit Hitze bestens klar, je heißer desto besser. Bei über dreißig Grad fühlt sie sich pudelwohl.

Und in Alanya liebt sie es jeden Abend auf den Basar zu gehen und zu feilschen bis der Arzt kommt. Die Verkäufer dort sind echt clever und sehr sehr smart. Aber Madame knackt die lässig. bei einem Glas türkischen Tee.
Es macht ihr riesigen Spaß, es ist einfach herrlich
Zu Hause in Deutschland hasst sie das einkaufen, Klamotten kauft sie wenn, dann am liebsten aus den Katalog.

In der DNA ist ja bekanntlich viel Platz

 

[verflixte13]

vorab: klasse!, dass wir doch noch die kurve bekommen haben
und uns nicht mehr gegenseitig mit platten "schlagzeilen-gefühlen"
malträtieren ...

denn dies führt unweigerlich in irgendein politisch
oder religiöses lager ... das ein "wir-gefühl" erzeugen soll ...
und dort, wo das "wir" beschworen wird, da braucht es auch die "anderen",
gegen die man dieses "wir" definieren, verteidigen
und schlimmsten falles auch dafür in den krieg ziehen kann.

ich hatte ja weiter hinten gefragt -->

doch wie kann man sich (der heimat) nähern? ohne von sich zu sprechen? ...
?oder muss/kann man nur von sich selbst reden, wenn man DIE Heimat meint?

aufgrund eurer persönlichen geschichten, da wird es mir
immer klarer, dass dieses "heimat-gefühl" überhaupt
kein "wir-gefühl"benötigt ...

denn dieses heimat-gefühl ist dermaßen individuell, auf jeden
einzelnen bezogen, mit seinen persönlichen prägungen/geschichten
und erinnerungen gefüttert, dass diese "heimat" nur im eigenen kopf stattfindet ...

nur zum beispiel: als ich die geschichte von @holgi
gelesen habe, da wurde mir auch wieder bewusst, wie fern
mir der osten deutschlands liegt ... seine biographie kann ich
zwar empathisch übersetzen, aber sie nicht mit meinem
"heimat-gefühl" koppeln ... und wenn in Dresden die
Pegida-bewegung plakate mit der aufschrift schwenkt -->

WIR SCHÜTZEN UNSERE DEUTSCHE HEIMAT!

dann weiß ich tatsächlich nicht von welcher heimat diese
menschen schwadronieren ... denn meine ist es mit sicherheit nicht.

und dennoch empfinde ich auch ein "wir-gefühl", aber nicht
zu einer masse, sondern, zu einzelnen individuen ...
und somit kann mir ein ostdeutscher, mit seiner lebensgeschichte
und seiner "weltsicht", weitaus näher stehen, als einer meiner
direkten geographischen nachbarn ...

aber, ich sehe schon ... dieses "wir" ... das ist schon wieder ein
völlig eigenständiges themengebiet ... LG


zusatz:
selbstredend wollte ich @holgi in keinster weise
in einen "Pegida-zusammenhang" stellen! ...
das habe ich einfach schlecht formuliert!

 

[Lobotomeandyou]

Will jetzt nicht groß mit persönlichen Geschichten langweilen.

Denke aber schon, dass einer der größten Einflüsse für das, was man musikalisch macht, auch die "Heimat" ist, wie immer man sie auch definieren mag.

Also, dass die Tatsache, dass ich mitten im Ruhrgebiet aufgewachsen bin, umgeben von Industrie (die Zeche war quasi aus'm Küchenfenster zu sehen - jut, der Stadtpark war auch gegenüber), grauer Tristesse im Straßenbild, Multi-Kulti usw. hat auch meine Mukke bis heute geprägt.
Wäre ich irgendwo aufm Land aufgewachsen, dann klänge auch die Musik anders. Da bin ich mir ziemlich sicher.

Insofern, auch aus kreativer Sicht, ist HEIMAT etwas Unverzichtbares.

@ holgi

war damals, vermute ich mal, die Sparrenburg.

https://de.wikipedia.org/wiki/Sparrenburg

 

[Lobotomeandyou]

und wenn in Dresden die
Pegida-bewegung plakate mit der aufschrift schwenkt -->

WIR SCHÜTZEN UNSERE DEUTSCHE HEIMAT!

dann weiß ich tatsächlich nicht von welcher heimat diese
menschen schwadronieren ... denn meine ist es mit sicherheit nicht.

Ich der DDR sah die Migrationspolitik ja auch ganz anders aus. Da gab es diese Gastarbeiterproblematik in diesem Maße z.B. so nicht (die paar Vietnamnesen, Kubaner, oder Afrikaner aus sozialistischen Staaten waren komplett anders integriert - waren zum großen Teil z.B. Studenten, Teil von Austauschprojekten, und in viel überschaubareren Zahlen im Land)


Ich finde es daher auch bescheuert, wennn man den Ostdeutschen 'ne angeblich strukturelle Fremdenfeindlichkeit unterstellen will oder eine realitätsferne Sicht. Ist nicht auf Deine Aussage bezogen, sondern diese Pauschalaussagen zum Thema (Medien, Politik)

 

[verflixte13]

Ich finde es daher auch bescheuert, wennn man den Ostdeutschen 'ne angeblich strukturelle Fremdenfeindlichkeit unterstellen will oder eine realitätsferne Sicht. Ist nicht auf Deine Aussage bezogen, sondern diese Pauschalaussagen zum Thema (Medien, Politik)

bin bei dir! ... aber natürlich muss man auch versuchen,
wenn sich ein "phänomen" aufzeigt, herauszufinden,
wie dieses zu erklären ist ...

aber oftmals sind diese ernsthaften untersuchungen dermaßen komplex,
dass nur ein paar schlagworte in´s kollektive bewusstsein tropfen ...

und diese werden stumpf und dumpf so lange wiedergekäut,
bis sie als plakat von irgenwelchen bewusstlosen mitläufer
auf die strassen getragen werden ...

und das gilt für alle Ressentiment´s ! ... ob nun gegen ostdeutsche
oder asylanten oder marsianer oder forenuser ...

 

[holgi]

Zum Thema Ostdeutschland und Rechtsradikalismus; nur kurz weil ich zu diesem Metier stundenlang fabulieren könnte

Schon zu DDR Zeiten hat man Hass gegen Andere kultiviert, der Kapitalismus, Die Kirche, die Punks, die Homosexuellen, die Kriegsdienstverweigerer, die Polen usw usf.

Das kam nicht von Unten, das kam aus der Mitte der Gesellschaft. Mein GST Einpeitscher im Lager zur vormilitärischen Ausbildung in der 9. Klasse hat uns erklärt wie schneidig die SS war. Das war ein SED Genosse und Ausbilder im Handwerk im Hauptberuf.

In meiner Jugend dann gab es ein grosses Einverständnis darüber, alle Bunten (Punks und Schwule) in Arbeitslager zu stecken, so wurde in der Schule und im Ausbildungsbetrieb gesprochen. Als ich in Berlin auf Montage gearbeitet habe 1986 galt es als lustig sich unter Bauarbeiter darüber zu unterhalten, wer wie viele Bunte gestern Abend geklatscht hat.

Mein Chef im Betrieb hat mir 1983 als Lehrling erklärt was ein Jude ist; er hat meine Arbeitshose am Bund gepackt, hochgezogen, und diese somit besser passend gemacht, DAS, so erklärte er mir, waren Juden, die haben dich betrogen und dich ausgenutzt, haben dir Hosen verkauft die nicht sassen, auch er war nicht nur Betriebsleiter, nein, er war SED Genosse.

Fehlstellen beim Streichen auf der Baustelle nannte man Juden, weil man sie vergessen hatte (ins KZ zu schaffen...).... das war Umgangssprache.

Vietnamesen als Gastarbeiter wohnten bei uns in einem Wohnheim, die haben dort nach der Arbeit in ihrem Betrieb schwarz Jeanshosen genäht und diese dann an uns Ossis vertickt, dafür hat man sie gehasst, zwei Freunde von mir haben einen Vietnamesen im Suff tot geschlagen und sassen dafür ein paar Jahre in Jugendhaft.

Im Osten hat man über Jahrzehnte Menschen militarisiert, man hat ihnen Hass auf Andere eingebläut, der Klassenfeind lauerte überall, innen und aussen, das WIR war wichtig, WIR Arbeiter und Bauern der sozialistischen Bruderstaaten, WIR hier und dort die Nato, wenn WIR sterben muss auch die Nato sterben (mein Staatsbürgerkunde Lehrer in der 10. zum Thema Atomkrieg und meiner Ankündigung den Wehrdienst zu verweigern)...

Skinheads hatten Anfang und Mitte der 80er kaum Probleme mit der Polizei, anfangs fand man die so schlecht nicht, schliesslich haben die Jungs Bunte geklatscht, erst als die Skins dann offen neofaschistisch agierten versuchte man es unter den Tisch zu kehren.

HEIMAT ist auch das für mich, ist auch Kampf und Abscheu, ist Wut und Trauer, ist nicht nur positiv besetzt.

 

[verflixte13]

HEIMAT ist auch das für mich, ist auch Kampf und Abscheu, ist Wut und Trauer, ist nicht nur positiv besetzt.

ein THX für deine geschichte! ...

sie zeigt mir nur noch deutlicher auf, wie individuell dieser "heimat-begriff"
unterfüttert ist ... und somit wird/ist die "heimat-frage" für mich

... eine frage/ein kampf um das eigene ich. LG

 

[Teestunde]

@lobo

Will jetzt nicht groß mit persönlichen Geschichten langweilen.

Würdest du nicht. Aber es ist anstrengend, sie aufzuschreiben, diese Geschichten. Ich bin erstaunt, wie nahe mir das geht.

Heimat war für mich etliche Jahre das Kindertheater.
Dort gab es einen Requisiteur, den man, wie ich jetzt weiß, als Bunten bezeichnet hätte.
Ich hatte auf der Bühne Kuchen zu essen, den ich nicht hinunter bekam, weil mein Mund von der staubtrockenen Bühnenluft völlig ausgedörrt war. Nach der Szene brachte mir diese herzensgute Seele von Requisiteur den Kuchen in die Garderobe und legte Wert darauf, dass ich davon zumindest einmal abbiss. Dabei lamentierte er jedes Mal darüber, wie schwierig es wäre, am Wochenende überhaupt Kuchen aufzutreiben, noch dazu genießbaren. Es hätte mich nicht verwundert, wenn er darüber in Tränen ausgebrochen wäre. Er hatte nahe am Wasser gebaut, sehr zum Gaudi der Bühnenarbeiter, die sich bei jeder Gelegenheit dreiste bis brutale Scherze mit ihm erlaubten. Auch die Schauspieler waren nicht viel besser. Für ein Stück hatte er gutmütig ein privates Fotoalbum als Requisit zur Verfügung gestellt. Die Damen und Herren Künstler hatten ihre Textblätter einfach über die Fotos geklebt. Seine privaten Fotos.
Ich hab ihn mal gefragt, warum er sich für seine fehlenden Vorderzähne kein Gebiss machen ließ. Bevor er antworten konnte, brachen die Techniker, die ihn Hörweite saßen, in hämisches Gelächter aus.
Ich will mich jetzt nicht reinsteigern. Es kam mir nur darauf an zu schildern, wie es um die angebliche Gleichstellung von Homosexuellen in der DDR bestellt war.

Euch allen ein schönes Wochenende!
LG T.

 

[SoulFrontier]

Na holgi nicht dass da ein falsches Bild entsteht. Das sind Deine Erlebnisse, die kann und darf man aber bitte nicht pauschalisierten.

Mich entsetzt das! Judenhass war definitiv nicht geduldet oder gar erwünscht! Ich habe völlig andere Erfahrungen gemacht. Der Holocaust wurde DDR Bürgern in der Schule vermittelt. Jeder Jugendliche fuhr mit seiner Schulklasse wenigstens einmal nach Buchenwald. Die Gedenkstätte dort
war alles andere als ein Ort an dem man lernte den Faschismus und die SS zu glorifizieren.

Ich persönlich werde diesen Besuch dort niemals vergessen. Das Grauen, das ich dort sah, hat mich tief geprägt.

nee, also ich kann das so nicht bestätigen.

Eine andere Sache ist es mit Minderheiten, mit Menschen die irgendwie anders waren. Da gab es sehr schnell Hass!

Es war ja doch alles gleich geschaltet. Jede kleine Abweichung von der Norm wurde beargwöhnt. Leute, die sich Freiheiten erlaubten, die andere sich nicht trauten oder die offen rebellierten, wie eben in den Achtzigern die Punks oder in den Siebzigern die “Gammler“ , die wurden verfolgt und bespuckt.

Und richtig ist auch das es wenige Ausländer gab.

 

[ModulationMatrix]

Danke holgi, so in dieser Konkretheit hat mir das geholfen die ostdeutsche Mentalität besser nachvollziehen bzw nachfühlen zu können. So ergibt es einen Sinn, die spürbar höhere Skepsis der Ostdeutschen gegen das Neue und Fremde. Aber gut, das Thema wäre wohl wirklich ein eigener Thread.

Heimat ist für mich ein ausschliesslich positiver Begriff, da hängen nur positive Gefühle dran. In meinem Umfeld wurde der Begriff aber auch selten genutzt. "Heimatfilme" schaute meine Mutter früher gerne, aber ich fand das urst langweilig. Ansonsten sagte man bei uns im Studentenalter "ich fahre in die Heimat" wenn man halt zu seinem Elternhaus fuhr. Obwohl das bei mir alles andere als rein positiv ist, hat es aber den Begriff Heimat nicht beschädigen können. Ich glaub das ist einfach schon die Wortsilbe "heim", die soviel Vertrautheit bei mir auslöst. Obwohl auch da - unter jedem Dach ein ach - es gibt negatives, aber Heim bzw. Heimat steht gerade für das positive. Das negative wird gesondert bezeichnet. So bin ich anscheinend gestrickt.

 

[holgi]

Mich entsetzt das! Judenhass war definitiv nicht geduldet oder gar erwünscht! Ich habe völlig andere Erfahrungen gemacht. Der Holocaust wurde DDR Bürgern in der Schule vermittelt. Jeder Jugendliche fuhr mit seiner Schulklasse wenigstens einmal nach Buchenwald. Die Gedenkstätte dort
war alles andere als ein Ort an dem man lernte den Faschismus und die SS zu glorifizieren.

Ja, da war ich auch, und in Sachsenhausen, aber in der Hauptsache wurden nach Lesart der SED dort Kommunisten getötet.

Zitat:

"Auch der Genozid an den Juden war – zumindest in den ersten Jahrzehnten der DDR – nie Bestandteil der offiziellen kommunistischen Gedenkkultur. Der Begriff "Holocaust" kam im offiziellen Sprachgebrauch des ostdeutschen Staates praktisch nicht vor, weil er die besondere Bedeutung dieses historischen Ereignisses hervorhob. Dieser Umstand fügte sich nicht in die kommunistische Geschichtsauslegung, die den Fokus vor allem auf das Heldentum kommunistischer Gegner des Nationalsozialismus richtete. Aus diesem Grund befand die ostdeutsche Historiografie es weder für wert noch für wichtig, sich mit den deutschen Juden und ihrer Verfolgung zu befassen, und wenigstens bis in die 1980er-Jahre fanden sich in Schulbüchern der DDR kaum Ausführungen zu den millionenfachen, von den Nationalsozialisten ermordeten jüdischen Opfern.[7] Bis in die 1980er-Jahre beschränkte sich in der DDR die ernsthafte Beschäftigung mit den nationalsozialistischen Verbrechen gegen die Juden auf Kunst und Literatur. Mehrere bekannte Filme der DEFA befassten sich ebenfalls mit der Verfolgung und dem Genozid an den Juden und präsentierten erstaunlich differenzierte Darstellungen zum Holocaust.[8] "

Zu finden Hier.

 

[Lobotomeandyou]

Holgi, nenne mir den Staat, in dem es keinen Rassismus und/oder Antisemitismus gibt? Wird schwierig, den auszumachen.

Hier in der BRD waren die Rechtsextremen zum Beispiel in den 60ern schon wieder hoffähig. Die neugegründete NPD zog damals beispielsweise gleich in 7 Landtage ein. Dieser enorme Rechtsruck könnte auch damit zusammenhängen, dass damals die ersten großen Gastarbeiterwellen in der BRD waren. ist jetzt aber nur 'ne Spekulation meinerseíts. Das Phänomen habe ich noch nicht eingehend beackert.

Bin aber in etwa bei dir, dass auch negative Erinnerungen an die Heimat nicht verdrängt werden sollten (kann man auch nie ausblenden, wenn man kein kompletter Ignorant ist). Denn die prägen genauso wie das Positive.

 

[User70408]

Zum Thema Ostdeutschland und Rechtsradikalismus; nur kurz weil ich zu diesem Metier stundenlang fabulieren könnte
.

Ich glaube nicht, dass Ostdeutsche mehr rechts gelagert sind als andere Europäer, weiß es aber natürlich nicht!

Ich erinnere mich als 2015 im Mai der Flüchtlingsstrom nach Österreich so richtig einsetzte.
Schwubiduwups begannen die Ungarn einen hohen Zaun aufzuziehen und so Flüchtlingen den Weg in ihre "Heimat" zu verwehren. Flüchtlinge die trotzdem versuchten einzureisen wurden festgenommen und inhaftiert. Es drohen diesen "Illegalen" sogar langjährige Haftstrafen ...

So mussten die Flüchtlinge einen Umweg um Ungarn machen und nehmen seitdem den Weg nach Österreich oder ziehen durch Österreich in Richtung Deutschland oder Schweden.
An die 100.000 haben in Österreich legal einen Asylantrag gestellt. Österreich ist ca. 1/10tel so groß wie Deutschland (7,8 MIO EW).

Da war auf einmal die Hölle los!
Der Österreichische Bundeskanzler Faymann und der Ungarische Ministerpräsident Orban lieferten sich unschöne Wortgefechte in den Medien.

Faymann warf den Ungarn vor, dass sie mit ihrem Zaun unsolidarisch gegenüber der Europäischen Gemeinschaft sind und so eine Gesamteuropäische Lösung unmöglich machen.

Interessant waren die Erklärungen von Orban. die inhaltlich lauteten.

>>> wir Ungarn sind Fremde nicht gewohnt. Wir mussten uns nie auf andere Religionen, andere Mentalitäten einstellen, der Ungar ist damit überfordert. Darum müssen wir unsere Heimat vor fremden Einflüssen schützen <<<

Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass es vielen "Ostdeutschen" genau so geht.
Sie sind "Fremde" in ihrer Heimat nicht gewohnt.
Da steckt vielleicht viel mehr Angst vor dem "Fremden" drin als man vermuten will ... ?

Grundsätzlich ist diese Angst verständlich!
Man muss sich halt seinen Ängsten stellen und sie besiegen, das geht aber natürlich nicht so schnell.



.

 

[ModulationMatrix]

Ich glaube nicht, dass Ostdeutsche mehr rechts gelagert sind als andere Europäer, weiß es aber natürlich nicht!

Wieso glaubst du es denn?

 

[User70408]

Ich glaube nicht, dass Ostdeutsche mehr rechts gelagert sind als andere Europäer, weiß es aber natürlich nicht!

Wieso glaubst du es denn?

Häh

 

[speedtom]

Zum Thema Ostdeutschland und Rechtsradikalismus; nur kurz weil ich zu diesem Metier stundenlang fabulieren könnte

Schon zu DDR Zeiten hat man Hass gegen Andere kultiviert, der Kapitalismus, Die Kirche, die Punks, die Homosexuellen, die Kriegsdienstverweigerer, die Polen usw usf.

Das kam nicht von Unten, das kam aus der Mitte der Gesellschaft. Mein GST Einpeitscher im Lager zur vormilitärischen Ausbildung in der 9. Klasse hat uns erklärt wie schneidig die SS war. Das war ein SED Genosse und Ausbilder im Handwerk im Hauptberuf.

In meiner Jugend dann gab es ein grosses Einverständnis darüber, alle Bunten (Punks und Schwule) in Arbeitslager zu stecken, so wurde in der Schule und im Ausbildungsbetrieb gesprochen. Als ich in Berlin auf Montage gearbeitet habe 1986 galt es als lustig sich unter Bauarbeiter darüber zu unterhalten, wer wie viele Bunte gestern Abend geklatscht hat.

Mein Chef im Betrieb hat mir 1983 als Lehrling erklärt was ein Jude ist; er hat meine Arbeitshose am Bund gepackt, hochgezogen, und diese somit besser passend gemacht, DAS, so erklärte er mir, waren Juden, die haben dich betrogen und dich ausgenutzt, haben dir Hosen verkauft die nicht sassen, auch er war nicht nur Betriebsleiter, nein, er war SED Genosse.

Fehlstellen beim Streichen auf der Baustelle nannte man Juden, weil man sie vergessen hatte (ins KZ zu schaffen...).... das war Umgangssprache.

Vietnamesen als Gastarbeiter wohnten bei uns in einem Wohnheim, die haben dort nach der Arbeit in ihrem Betrieb schwarz Jeanshosen genäht und diese dann an uns Ossis vertickt, dafür hat man sie gehasst, zwei Freunde von mir haben einen Vietnamesen im Suff tot geschlagen und sassen dafür ein paar Jahre in Jugendhaft.

Im Osten hat man über Jahrzehnte Menschen militarisiert, man hat ihnen Hass auf Andere eingebläut, der Klassenfeind lauerte überall, innen und aussen, das WIR war wichtig, WIR Arbeiter und Bauern der sozialistischen Bruderstaaten, WIR hier und dort die Nato, wenn WIR sterben muss auch die Nato sterben (mein Staatsbürgerkunde Lehrer in der 10. zum Thema Atomkrieg und meiner Ankündigung den Wehrdienst zu verweigern)...

Skinheads hatten Anfang und Mitte der 80er kaum Probleme mit der Polizei, anfangs fand man die so schlecht nicht, schliesslich haben die Jungs Bunte geklatscht, erst als die Skins dann offen neofaschistisch agierten versuchte man es unter den Tisch zu kehren.

HEIMAT ist auch das für mich, ist auch Kampf und Abscheu, ist Wut und Trauer, ist nicht nur positiv besetzt.

Danke holgi, als Wessi hochinteressant diese Einsicht in den Alltag der DDR zu gewinnen.

Im Osten hat man über Jahrzehnte Menschen militarisiert, man hat ihnen Hass auf Andere eingebläut, der Klassenfeind lauerte überall, innen und aussen, das WIR war wichtig, WIR Arbeiter und Bauern der sozialistischen Bruderstaaten, WIR hier und dort die Nato, wenn WIR sterben muss auch die Nato sterben

Ich muss gestehen, das könnte man fast Wort für Wort auf das heute in Russland verwenden. Geradezu gespenstig.

Schon zu DDR Zeiten hat man Hass gegen Andere kultiviert, der Kapitalismus, Die Kirche, die Punks, die Homosexuellen, die Kriegsdienstverweigerer, die Polen usw usf.

Auch wieder heute: Homosexuelle werden diskriminiert, dürfen nicht mal in der Öffentlichkeit Händchenhalten. Eine Gesellschaft definiert sich meiner Meinung nach gerade dadurch, wie sie mit Minderheiten umgeht.

In meiner Jugend dann gab es ein grosses Einverständnis darüber, alle Bunten (Punks und Schwule) in Arbeitslager zu stecken, so wurde in der Schule und im Ausbildungsbetrieb gesprochen. Als ich in Berlin auf Montage gearbeitet habe 1986 galt es als lustig sich unter Bauarbeiter darüber zu unterhalten, wer wie viele Bunte gestern Abend geklatscht hat.

Und heute bekommt man für ein (eher lächerliches) "Punkgebet" zwei Jahre Arbeitslager - siehe Pussy Riot.

Sieht so aus, als hätte sich nicht so viel verändert.

 

[popnapp]

@DonPedro

Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass es vielen "Ostdeutschen" genau so geht.
Sie sind "Fremde" in ihrer Heimat nicht gewohnt.
Da steckt vielleicht viel mehr Angst vor dem "Fremden" drin als man vermuten will ... ?

Nenn mich crazy, aber ich vergleiche das gerne mit unterlassener Hilfeleistung. Wenn ich am Straßenrand einen Unfall sehe und nicht anhalte und helfe und stattdessen sage: ich bin das nicht gewohnt und habe auch Angst, Einbußen hinnehmen zu müssen (ich käme zu spät zu meiner Verabredung und hätte nur Scherereien), das fändest du verständlich?

Grundsätzlich ist diese Angst verständlich!

Klar ist sie verständlich. Und wenn jemand diesen Ängsten nachgibt und nicht hilft, dann ist das auch verständlich. Und ebenso verständlich ist dann, wenn jeder andere diesen Ängstlichen beispielsweise "Blödmann" nennen würde. Also verstehen kann man das irgendwie alles. Man muss es ja nicht gut finden, akzeptieren oder irgendwie entschuldigen.