Der Songtext-Handwerk-Sammelthread

[artname]

Natürlich geht das und natürlich kann man das tun. Ich denke nur nicht, dass das der eigentliche Sinn und Zweck von Songs ist.

Hier droht unserem interessanten Dialog vorläufig eine Sackgasse. Ich traue mir nämlich nicht zu, auf die Kürze DEN Sinn und Zweck von Songs zu formulieren. Selbst MEINEN Sinn und Zweck kann (und möchte) ich nicht einfach forsch in die Waagschale werfen. Sorry

Aber gern gehe ich auf ein anderes Argument ein

Ich schreibe nicht für eine andere Generation. Es geht um etwas anderes:

die Musik und die Songs, denen ich nacheiferte, sind in der Regel schon ziemlich alt. 30 Jahre Minimum. Sie haben etwas - auch im Text - das sie die Zeit als "immergün" überdauern lässt. Ich versuche also so zu schreiben, dass man auch meine Songs (und Texte) in 30, 40, 100 Jahren noch als frisch und mit nachvollziehbaren Lyrics hören könnte. Darum dürfen die Texte nicht zu schwer verständlich sein. Wenn man jetzt wüsste, dass die Gesellschaft auf dem Weg in den totalen Intellektualismus ist, könnte man sich in der Beziehung freien Lauf lassen. Ich denke aber nicht, dass die hyperintelligente Gesellschaft die Zukunft ist.

Ich kann dir darin folgen, dass deine interessanten Texte formal meist kinderleicht verständlich auf mich wirken.

Das ist für mich auch interessant, weil „kinderleicht“ auf viele meiner Texte nicht zutrifft. Ich wende mich (bisher) bewusst an erwachsene Hörer, will deren mir oft zu selbstsichere Mimik und Uniform ironisch in Frage stellen. Ob das spätere Generationen interessiert? Ich glaube nicht, denn bis dahin hat die künftige Realität längst bewiesen, wer heute noch falsch liegt: der scheinbar verwirrte Autor oder seine scheinbar verwirrten Figuren.

Es mag wenig optimistisch klingen. aber warum sollte der Mensch letztlich nicht an seiner Begrenztheit endgültig scheitern? Es war nicht meine ursprüngliche Intention, in diesem Sinne zu schreiben, aber so etwas geht mir halt auch durch den Kopf und es kostet mich viel Kraft und Zeit, geduldig auf Einfälle zu warten, wo ich mich als Autor von der Ironie der Zeit dann und wann zu einem glaubwürdiges Lächeln oder Lachen verführt fühle. Privat verlernt man ja Gottseidank das Lachen genauso wenig wie das Radfahrern und die Liebe.

Aber wie kannst du annehmen, für keine andere Generation zu schreiben… und in gleichem Atemzug in 100 Jahren noch poetisch gesehen FRISCH wirken wollen?

Leider kann ich mich nur deine Forentexte beziehen. Da geht es ja scheinbar oft um Gewalt oder Fremdheit. Heißt das nun, dass du wie ich davon ausgehst, dass des Menschen Grenzen enger sind, als sein Verhalten vermuten lässt? Nur dass dich mehr seine Aussenwirkung interessiert und mich wohl eher sein Innenleben?
Oder glaubst du an eine neue Generation, die die Probleme unserer Zeit tatsächlich lösen wird? Entschlossener, weniger verwirrt und pflaumenweich?

 

[Turquoise]

Hier droht unserem interessanten Dialog vorläufig eine Sackgasse. Ich traue mir nämlich nicht zu, auf die Kürze DEN Sinn und Zweck von Songs zu formulieren.

Naja, mit Ockham gesprochen wäre der naheliegendste Sinn und Zweck von Songs, dass man sie anhört und sich daran erfreut.

Das mag jetzt mein persönliches Empfinden sein, aber mir scheint, dass wenigen die Gratwanderung gelingt, Musik / Texte zu kreieren, die den Hörer zufriedenstellen und die gleichzeitig genug Tiefe besitzen, dass er mehr finden würde, wenn er sich auf die Suche begäbe.

Ich kann dir darin folgen, dass deine interessanten Texte formal meist kinderleicht verständlich auf mich wirken.

Wenn ihr nicht werdet wie die Kindlein, werdet ihr das Himmelreich nicht ererben.

Das ist für mich auch interessant, weil „kinderleicht“ auf viele meiner Texte nicht zutrifft.

Das sehe ich auch so.

Aber wie kannst du annehmen, für keine andere Generation zu schreiben… und in gleichem Atemzug in 100 Jahren noch poetisch gesehen FRISCH wirken wollen?

Für keine spezielle "andere" Generation, sondern weil ich denke, dass Menschen immer Menschen bleiben. Der Zeitgeist drückt sie in dem Jahrhundert mehr in die eine, im nächsten mehr in die andere Richtung. Aber darunter brodelt das alte Menschsein weiter.

Heißt das nun (...) dass dich mehr seine Aussenwirkung interessiert und mich wohl eher sein Innenleben?

Vielleicht ist das so, kann sein. Ich bin - wie Du weißt - Dostojewski-Fan. Das Innenleben eines Menschen schlüssig darzustellen braucht mMn viel mehr Raum, als einen Songtext. Psychologische Streiflichter in Lyrics werden oft als unzureichend empfunden. Zumindest könnte man diesen Schluss aus den Diskussionen um meine Texte ziehen.

Oder glaubst du an eine neue Generation, die die Probleme unserer Zeit tatsächlich lösen wird? Entschlossener, weniger verwirrt und pflaumenweich?

Eher nicht.

 

[artname]

Für keine spezielle "andere" Generation, sondern weil ich denke, dass Menschen immer Menschen bleiben. Der Zeitgeist drückt sie in dem Jahrhundert mehr in die eine, im nächsten mehr in die andere Richtung. Aber darunter brodelt das alte Menschsein weiter.

Sicher, Mensch bleibt immer Mensch. Und deshalb hat er auch nicht umsonst das Wort „altmodisch“ erfunden, um den Generationen vor ihm wenigstens über die Stilistik nachzuweisen, wie naiv oder gar primitiv das Weltverständnis der Vorfahren im Grunde noch war. Da wird kinderleicht verächtlich mit Wilhelm Buschs Paarreimen gleichgesetzt. Wohl dem, der das als Kompliment versteht!

 

[artname]

Das Innenleben eines Menschen schlüssig darzustellen braucht mMn viel mehr Raum, als einen Songtext.

Für sein Aussenleben braucht der Mensch weniger (Schreib) Raum? Ach komm, da machst du es dir aber zu leicht. Der verfügbare Raum ist schon sehr wichtig, aber wichtiger ist das Geschick, das Blaue vom Himmel zu... kreieren! Das exitiert nämlich genau so sicher über‘m wie im Menschen

 

[Graham]

Das "Aussenleben" eines Wesens ist offensichtlich immer exakt gleich gross wie sein Innenleben.

 

[Ennui]

Möchtet ihr vll. einen eigenen Thread für die spannende Diskussion machen? Dann bleibt dieser Thread hier besser auf die Sammlung konzentriert. Würde das natürlich auch hier als Link mit aufnehmen.

 

[Ennui]

Bin ein kleiner Cineast. Mag diesen Channel hier ganz besonders:

https://www.youtube.com/channel/UC5NZ71oAHbXzhd-Mr1UxMNA/videos

Was ich bzgl. Songtexte interessant finde, sind die Video-Titel:

• Man Tries To Create Offspring From 3 Magical Women That Can Make Anything Happen
• Kid Discovers Secret Society Of Elites & How They Feed On The Poor To Survive
• Couple Fortify Their Apartment & Try To Survive A Violent Pandemic
• Man Arrives On Mars & Discovers A Civilization At War
• Teen Gains All The Superpowers Of A Dragonfly When Bitten By A Genetically Altered One
• Blacksmith Manages To Capture A Demon That Hides An Amazing Treasure
• Man Can Become Anybody He Wants But Must Change Constantly To Survive
• Priest Had A Baby With Student But Was Sacrificed Opening A Portal For Demons
• 4 Girls Attempt To Summon Slender Man But End Up Regretting It Immediately

Da denk ich mir, was ist, wenn man sich solch ein kurzes Exzerpt für ein Song-Thema ausspinnt und dann einfach mal daran arbeitet?

Beispiele:

• "Mädchen mit Kaleidoskop-Augen, das aus dem Himmel kommen könnte" - Beatles, Lucy in the Sky with Diamonds.
• "Depressiver [und in real life leider auch perverser] Mann glaubt, er könne fliegen" - R. Kelly, I believe I can fly.
• "Frau kauft Treppe zum Himmel" - Led Zep, Stairway to Heaven.

One-Liner-Story-Recaps als Aufhänger für Songtexte. Und dann wird dieses u. U. noch weiter komprimiert, um den passenden Songtitel zu ergeben.
Je wilder, desto interessanter.

 

[Andaraginga]

"Berliner Autoverkäufer berichtet von seinem aufrüttelndsten Sexerlebnis, der Entjungferung einer kindlichen Inselschönheit vor exotischer Traumkulisse"

 

[Ennui]

Es wurde gerade an mich herangetragen, dass auch P0rn0-Clip-Titel einschlägiger Portale im Grunde solche Kurzbeschreibungen sind. Damit eine kognitiv sehr zugängliche Idee für recording.de-User. Freue mich schon auf die bald hier zum Feedback stehenden Songtexte.

 

[Ennui]

Pattison in "Writing Better Lyrics", Seite 3:

Much of lyric writing is technical. The stronger your skills are, the better you can express your creative ideas. You must spend time on the technical areas of lyric writing, like rhyme, rhythm, contrast, balance, and repetition. Here, I want to focus on the most important part of all creative writing, and therefore surely of lyric writing: the art of deep diving — finding your own unique voice and vision.

Übersetzung:

Ein Großteil des Songtextschreibens ist technisch. Je stärker Ihre Fähigkeiten sind, desto besser können Sie Ihre kreativen Ideen ausdrücken. Sie müssen Zeit mit den technischen Bereichen des Textschreibens verbringen, wie Reim, Rhythmus, Kontrast, Balance und Wiederholung. Hier möchte ich mich auf den wichtigsten Teil des kreativen Schreibens und damit sicherlich des Lyrikschreibens konzentrieren: die Kunst des Tieftauchens – das Finden Ihrer eigenen einzigartigen Stimme und Vision.

Na wenn der Patti das schon sagt, hat der Thread hier vielleicht doch noch seine nachträgliche Weihe erhalten. ^^

 

[Andaraginga]

"Berliner Autoverkäufer berichtet von seinem aufrüttelndsten Sexerlebnis, der Entjungferung einer kindlichen Inselschönheit vor exotischer Traumkulisse"

Es wurde gerade an mich herangetragen, dass auch P0rn0-Clip-Titel einschlägiger Portale im Grunde solche Kurzbeschreibungen sind.

Du meinst damit aber nicht meinen Beitrag, weil du selbstverständlich weißt, welchen Megahit des deutschen Schlagers ich da zitiert hab!?

 

[Ennui]

Du meinst damit aber nicht meinen Beitrag, weil du selbstverständlich weißt, welchen Megahit des deutschen Schlagers ich da zitiert hab!?

Nein, war nicht auf dich bezogen.
Ich vermute mal, du meinst den Kaiser Roland mit seiner Maria Santa. ^^

 

[Ennui]

Nicht uninteressant zu lesen.
Warum Lyrics über Zeit immer einfacher gestrickt sind.

Why are song lyrics becoming simpler? a time series analysis of lyrical complexity in six decades of American popular music

Michael E. W. Varnum, Jaimie Arona Krems, Colin Morris, Alexandra Wormley, Igor Grossmann

Why are song lyrics becoming simpler? a time series analysis of lyrical complexity in six decades of American popular music

Song lyrics are rich in meaning. In recent years, the lyrical content of popular songs has been used as an index of culture’s shifting norms, affect, and values. One particular, newly uncovered, trend is that lyrics of popular songs have become increasingly simple over time. Why might this be...

journals.plos.org

 

[artname]

Nicht uninteressant zu lesen.
Warum Lyrics über Zeit immer einfacher gestrickt sind.

Ich liebe mittlerweile deine Geduld, Beiträge zu Lyrics zu sammeln! Erneuten Dank dafür. Ich lese eigentlich fast alles. selbst wenn ich es bereits kenne. Aber diesmal verstärkte sich von Zeile zu Zeile die Frage; Hast du es wirklich geschafft, diesen unverschämten Berg statistischer Fachbegriffe zu erklimmen?!?

 

[Ennui]

Insbesondere der Ergebnis-Teil ist mit seinen statistischen Begriffen und den komplexen Daten natürlich einschüchternd. Da kenn ich mich auch nur grob aus, obwohl ich was wissenschaftliches studiert und mal kurz in dem Bereich gearbeitet habe. Ganz hab ich die Studie noch nicht durchgelesen. Ob sie z.B. methodisch 100% wasserdicht ist, das will ich gar nicht prüfen.

 

[artname]

Ich finde das Thema hochinteressant und die Ergebnisse durchaus für Hits in den Charts nachvollziehbar.

Ich bezweifle nur, ob „ simpler“ der geeignete Begriff für die zunehmende Zahl an Wiederholungen in den Songtexten ist. Ich würde das zunächst eher als „fokussierter“ betrachten. Ehrlich gesagt empfand ich „Dadada“ von Trio sooo simpel gar nicht! Naja.,,

Die Erklärung für die Ursachen klingt allerdings so schrecklich abstrakt, dass sie wirklich nur Profis.., ähm Professoren berühren kann! Ich werde mich wohl dieser Tage trotzdem durch quälen.

 

[Ennui]

Bob Dylan Lyrics aus dem Reclam, teilweise mit deutscher Erklärung von Slang und Insidern.
Wurde mir zum Geburtstag geschenkt, weil ich ja so aufs Texten steh. Musikalisch geht er an mir vorbei, muss ich zugeben, aber sehr interessant und inspirierend, seine Werke zu lesen. Allgemein kann ich nur empfehlen, sich möglichst viele Werke der Profis anzusehen, so kann man sich ein paar Kniffe abschauen (Profis sind ja sehr bedeckt, wenn es um ihre Techniken und handwerklichen Hintergründe beim Texten geht). Da fällt mir ein, wird mal wieder Zeit für einen "Lernen von"-Thread ...

Lyrics: Englischer Text mit deutschen Worterklärungen. C1 (GER) (Reclams Universal-Bibliothek) https://amzn.eu/d/95yTtNt

 

[Ennui]

@artname
über das Für und Wider von Schüttelreimen.

https://recording.de/threads/fuer-und-wider-von-schuettelreimen-aus-komponisten-sicht.253318/

 

[artname]

Allgemein kann ich nur empfehlen, sich möglichst viele Werke der Profis anzusehen, so kann man sich ein paar Kniffe abschauen (Profis sind ja sehr bedeckt, wenn es um ihre Techniken und handwerklichen Hintergründe beim Texten geht).

Empfehlung: Lies erste originale Zeile und reime danach eigene zweite Zeile hinzu. Oft kommt man so als Macher der Intention des originalen Textes etwas näher.

Ja, leider geizen die meisten Poeten mit Hinweisen auf ihr Handwerk. Aus meiner Sicht leider vor allem Dylan!

Aber (ähnlich wie Cohen) animieren seine Texte, statt der Fähigkeit zum logischen Denken lieber zu zeigen, dass man fähig ist, Träume realistisch darzustellen. In Dylans Texten begegnen sich bis heute sehr oft mystische Figuren. Man könnte auch sagen, er hat die Gabe, reale existierende in magische Figuren zu verwandeln. So gesehen hat er etwas von Wagner..,

 

[Ennui]

ABBA Lyric Writing Secret im Interview mit Beato.


View: https://youtube.com/shorts/wfK-ewzl-Z8