Moin,
keine Ahnung, ob der Threaderöffner noch an einer Diskussion interessiert ist ... da ich im Vorstellungsthread motiviert wurde, mich engagiert zu beteiligen, hier meine 2 Pfennige (heißt: Total subjektiv, herzhaft brickheaded und ohne jeden Anspruch auf Verallgemeinerung):
"Sound" wird überbewertet.
Ich habe eben bei der Fahrt vom Pferdefutterholen "Ryan Paris: Dolce Vita" gehört. Das sind "Standardsounds" (mit guter Produktion anschließend), die im Wesentlichen alle auf der gleichen Velocity und extrem quantisiert klingen. Das macht den Reiz des Klanggerüsts aus. Auch Roxette haben zu Beginn sehr viele Standardsounds benutzt - und viel Zeit in das Anpassen des Timings gesteckt, um vom "MIDI klingt scheiße" wegzukommen.
Wenn die Konstruktion/Komposition stimmt, wenn der Song eine Dynamik hat und nach einem bestimmten "Sound" ruft, dann sind Standardsounds kein Problem.
Guter Sound kann schlecht sein
Hört man sich z.B. "Blockbuster-Movie-Themes" an, hört man (anscheinend) immer dieselben zwei Sample-Libraries. Es geht kaum noch langweiliger, öder, vorhersagbarer und nervtötender. Das wäre ja kein Problem (immerhin sind die Movies selbst genau dasselbe: Langweilig, öde, vorhersagbar und ... nun, Popcorn-Unterhaltung eben), wenn nicht die (echten) Orchester häufig versuchten, GENAUSO zu klingen. Wenn die Produktionen mancher moderner Konzertaufnahmen nicht dieselbe gepresste Dynamik simulieren würden.
Rauschen, Knistern, eine heisere Trompete oder eine Bassdrum, die NICHT mit vier Samples und Subharmonien "geumpft" ist, kann für einen Song nicht nur ausreichend, sondern genau richtig sein. Wenn der Song stimmt. Überproduktion - was man häufig im Radio hört, wenn man denn Dudelfunk anmacht - macht aus guten Ideen sehr oft, fast immer, Einheitsbei.
Nicht vom (guten) Sound ablenken lassen
Viele "Demos" von Musikmachern klingen, als hätten die Damen gerade eine neue VSTi-Library gekauft und sich vom Klang überwältigen lassen. Das mag im Einzelfall "geil" klingen, es ist aber nichts, das hängenbleibt. Ich glaube, es war "Faith", wo George Michael etwas Mühe investiert hat, um das Gitarren-Intro richtig schlecht klingen zu lassen. Weil *das* nach dem Orgel-Preludium die richtige Brücke war. Für den Song. Der Rest hat auch keine "geilen" Klänge, sondern ist gut produziert.
Was für mich, subjektiv, fast jeden schlechten Sound wettmacht, ist Komposition/Konstruktion, eine "Story", die von der Musik erzählt wird (und die eine andere sein kann als die, die die Lyrics vertellen). Ich habe mich Jahrzehnte lang geärgert, dass meine eigene Musik, trotz "cooler Komposition" (in meinen Augen, also nicht erwähnenswert) total beschissen nach Computer klingt - die Lösung war ganz einfach genau das, was Per Gessle mal bei Formel Eins erzählt hat (wenn ich mich richtig entsinne): Computersounds sind nicht "sauber getimed" (damals nicht und heute immer noch nicht - wobei Chris Hein bei seinen Bibliotheken ja behauptet, das Problem gelöst zu haben
). Da ist der Bass einen Tick langsamer als die Basedrum, da ist die Dynamik bei den Pads total anders gewichtet als bei den Gitarrenschrammlern. Das passt alles nicht zueinander, es "klebt".
Ich finde daher die "Humanizer-Funktion" bei Studio One selten dämlich. Ich habe x Tutorials gesehen, in denen dieses zufällige Hin- und Hergewische als die Erfindung des beidseitig gebutterten Toasts gepriesen wurde - und das Ergebnis klang immer noch mies. Warum? Weil Instrumente nicht "zufällig langsam/schnell" gespielt werden, sondern "mit Bedacht" - im Optimalfall.
Beispiel: Kommt der Tieftonbereich der Rhytmusgruppe (Base, Bass) 5-10ms vor dem Rest, kann das einen "schnelleren Beat" simulieren, ohne das Tempo zu verändern. Der Rhytmus klingt "treibender".Kommen die Bassteile einen Tick (nicht "erkennbar", aber "erfühlbar") langsamer, klingt der Song "relaxed, laid back". Nochmal: Ich spreche hier von Optimalfällen, nicht von Rezepten. Aber die Idee ist, denke ich, erkennbar.
Wenn aber die (elektronischen) Sounds alle irgendwie zufällig ihren "Impact" haben, also vom Zuhörer als "Klang" wahrgenommen werden, ist das Ergebnis inkoherent - auf Deutsch "Matsche". Standardsounds haben genau dieses Problem.
Lösung 1: In Feinarbeit das Timing zurechtbiegen. Das kann man als Anfänger nicht - keine Chance. Da haben sogar viele Profis große Probleme mit (man schalte einfach mal das Radio an und höre hin).
Lösung 2: Mit dem Problem leben und das Beste 'draus machen. Wenn es unbedingt Computersounds sein sollen, kann man den Song so aufbauen, dass die einzelnen Gruppen ihr "Thema" erstmal in Ruhe darstellen können und nicht alle auf einmal auf den Hörer einstürzen. Lässt man die Bassline erstmal laufen - ohne alles - und passt dann den Rhythmus so daran an (HÖREN!), dass daraus ein "Groove" entsteht - hat man das, was bei "Dolce Vita" ja auch klappt. Da ist kein komplexer Rhythmus, da ist keine arrangierte Orchestrierung, das Ding lebt von seiner Simplizität.
Lösung 3: Sich losmachen vom geklickten Song. ALLE meine Computermusikstücke aus den 80ern, die ich mit Mehrspurtechnik auf selbstgebauten (Cassetten-basierten) "Trackern" aufgenommen habe, klang interessant (im guten Sinne), wenn ich sie EINGESPIELT habe und bescheiden, wenn ich sie von Sonix, KCS oder irgendeinem anderen Sequencer habe kommen lassen. Weil ich beim Hören auf die Timingprobleme des Sounds eingehen, damit spielen und experimentieren konnte.
Zu den Beispielen des Threaderöffners:
Das "klingt" alles nicht schlecht. Der "Sound" ist nicht überzeugend, klar, aber das kann man getrost ignorieren - eine Produzentin, die weiß, was sie tut, macht daraus schon 'was.Für mein Empfinden versucht der oder die Threaderöffnende hier viel zu viel in viel zu kurze Zeit zu packen. Die Stücke entwickeln sich nicht, geben dem Hörer (mir wenigstens) gar nicht die Möglichkeit, hinter den Sound zu hören. Weniger ist oft mehr: Weniger Akkorde, mehr Andeutungen, weniger vollständiger Rhytmus, mehr unterstützende einzelne "Trommelschläge".
Meine Empfehlung: Hör' Dich mal durch Musik, die Dir gefällt. Such' Dir ein paar Stücke, die Du als "richtig definierend geil" empfindest und dann "bau die nach". Es geht nicht darum, Melodie, Tempo oder ähnliches 1:1 zu reproduzieren, sondern bau die "Konstruktion" nach: Wann setzt das Schlagzeug ein? Wann kommen unterstützende Akkorde? Wie wird die Melodie begleitet, steht sie alleine und isoliert oder ist sie eingebettet in ... was?
Übernimm den "Beat", spiel die Melodie mit einer einzigen Note nach (also nur den Rhythmus), dann, wenn Dein "Bett" irgendwie ähnlich wie das Vorbild klingt, bau Deine eigene Akkordfolge ein, Deine eigene Melodie. Bleib' erstmal bei WENIGEN Instrumenten, übertreib's mit dem Schlagzeug nicht (Schlagzeug ist, finde ich, verdammt schwer "gut" hinzubekommen! Es ist eben nicht nur Umpf-Pfampf-Umpf-Pfampf-Sizzelsizzelpatsch.) Hör Dir mal Beachbuggy an (oft als "Blue Monday" betitelt, ist aber die B-Seite). EINE BASE-DRUM macht den Song aus. Der Rest ist Beiwerk. Hör Dich mal "We will rock you" in einer Live-Version an: Scheißer (ist das die Steigerung?) kann der "Sound" nicht sein, aber das Ding "geht ab". Mit GANZ WENIG Instrumenten funktioniert der Song.
Sorry for the text wall.
Marc
ach wie schön ... 
