Mikrofonierung eines (Jugend)Orchesters

[Findelgrimm]

Hallo allerseits,

Situation
ich habe spontan die Möglichkeit, zu persönlichen Übungszwecken HEUTE ABEND die Probe eines gutes Jugendorchester (50 Personen) aufzunehmen.
Die Örtlichkeit ist eine Pausen"halle". Leider hat das recht breite Gebäude eine sehr geringe Deckenhöhe von 2,50 (geschätzt).

Akustik des Aufnahmeorts:
Die Halle ist nicht völlig leer, sondern es stehen einige Pflanzen, Stühle, Tische etc. dort, so dass die Akustik nicht völlig von Flatterechos bestimmt wird. Dennoch hört man an den Reflektionen sehr stark, dass es kein Konzertsaal, sondern nur ein recht kleiner Raum ist. Ich denke, wenn man ein Stereopaar für das ganze Orchester nimmt und dies mit Stützmikrofonen verstärkt, würde der unschöne Raumcharakter sehr klar hervortreten.

Vorgehen
Mein Plan (als jemand ohne Erfahrungen mit größeren Klangkörpern), wäre es, auf das Stereopaar zu verzichten, stattdessen möglichst jede Gruppe einzeln sehr nah mikrofoniert abzunehmen und hinterher mit ein wenig Faltungshall Digital den großen Raumklang zu simmulieren.

Mit meinem RME Fireface kann ich bis zu 10 Spuren aufnehmen dachte folgende Klein und Großmembran Mikrofone mitzunehmen (meine SM57/SM58 Sammlung ist sicherlich fehl am Platze):
1x Neumann Tlm 105
1x AT2020
4x Rode NT5
2x Rode NT2
2x Samson CO
1x Shure Beta52 (für Pauke?)

Die Gruppen würde ich so Mikrofonieren:
Geige 1 - Rode NT5
Geige 2 - Rode NT5
Viola - Rode NT5
Cello - Rode NT5
Kontrabass (stehen weit entfernt vom Rest des Orchesters) - Rode NT2
Hörner - Samson C02
Posaunen - Samson C02
Pauke - Shure Beta 52 oder besser AT2020?
Holzbläser 1 - Neumann TLM
Holzbläser 2 - Rode NT5

Ich habe im Anhang mal eine ganz schnelle Paint-Skizze angehangen wie die Sitzordnung in etwa sein wird (die Kreise sind nur symbolisch, es sind wie gesagt insgesamt 50 Leute).

Was denkt ihr?
Ist es überhaupt möglich einen Orchestersound nur mit Stützmikrofonen hinzubekommen?
Wie verfahrt ihr bei schlechter Akustik?
Ist die Auswahl und Anwendung der Mikrofone einigermaßen sinnvoll?
Habt ihr noch allgemeine Tipps für die Aufnahme heute Abend?

 

[SlimJim]

Ich habe leider nicht so viel Erfahrung mit Orchester-Recording - ich würde aber bedenken, dass der "Pauker" klingt irgendwie lustig ... also der Heini an der Pauke mit Sicherheit auch Becken, etc. spielt...
Ich würde auf jeden Fall ein gutes Stereopaar aufstellen - in einem Orchester hast du meistens schon relativ "lange" Laufzeitverzögerungen, die jedoch den Orchestersound (meiner Meinung nach) ausmachen - ich würde also nur stützen, was gestützt werden muss... ich denke mal dass die Bläser sich da am besten durchsetzen und der Bass bei nur Stereopaar doch sehr undifferenziert ist (so als Beispiel)...

 

[cherry50]

Ich habe zwar bisher nur kleinere Instrumentalgruppen bis zu 10 Musikern recordet, würde aber jetzt der Raumbeschaffenheit nicht soviel Bedeutung beimessen, denn die kannst Du so eh nicht ändern.

Würde auch auf jeden Fall ein Stereo Mikrofon als Basis nehmen und dann die Gruppen wie du sie gezeichnet hast , Bass, cello, Bratschen Hörner, könnte ich mir vorstellen

Fagott, Klarinetten und Flöten bilden genug eigene Klangsubstanz, die ich nicht unbedingt mehr stützen würde. Neigen bei Übertreibung sogar zum zerren. (Selber erlebt ,schrecklich im Nachhinein)

Geigen vorne ebenfalls zur Stütze je links und rechts ein Mikro.

Maximal 6 Mikrofone würde ich nehmen.

Bestimmt hast Du schon Erfahrung, wage aber trotzdem zu bedenken, wie willst Du der ganzen Mikrophone Herr werden, die so von Dir geplant sind ?

Je mehr Mikrophone, desto undifferenzierter wird die Geschichte nachher alleine auch durch das Übersprechen.

Habe wie gesagt nicht die große Erfahrung, sondern schreibe es so, wie ich in Deinem Fall eventuell vogehen würde,

Vielleicht kannst Du ja auch, wenn es eine Probe ist, zwei bis drei verschiedene Setups fahren.

Gutes Gelingen und viel Spaß
Cherry50

 

[mikesilence]

Decca-Tree plus zwei weitere Stückmikros...

 

[suboptional]

Bin auch nicht der Orchester-Aufnahme Crack aber seh's auch so SlimJim.

Wenn du auf das Stereo-(Raum)-Paar verzichtest hast du ja überhaupt kein 'echtes' Stereo-Signal und müsstest nachträglich alles 'künstlich' stereofizieren (mit Hall-Effekt)..
Würde denken das ist nicht sooo Standard für Orchester-Aufnahmen.

WENN das nicht schon heute abend wäre würd ich sagen hol dir ne ADAT-Erweiterung für das Fireface für mehr Eingänge und nimm den Raum auf jden Fall zusätzlich mit, notfalls hinterher wegschmeissen geht immer.

edit:
Da sind während ich geschrieben hab noch weitere (bessere) Beiträge gekommen.

 

[SGW1]

DECCA Tree ist eine feine Idee, geht aber nur wirlich auf, wenn der Saal richtig gut klingt. Bei 2,5m Deckenhöhe vermute ich, dass das nicht klappt. Zumal sich auch ein DECCA Tree erfahrungsgemäß über eine gewisse Höhe über berm Boden freut - meistens bin ich bei ca. 2,7m.

Ich würde auf jeden Fall ein Paar NT5 als Steuero-Hauptanordnung einsetzen.
Wen das Orchester spielt, einfach mal aus größerer Entfernung langsam auf das Orchester zugehen. Der Punkt, an dem Du das Orchester sowohl direkt als auch aus dem Raum gleich gut hörst. ist ganz grob der Hallradius. Da würden Kugeln als Hauptmikrofone stehen. Da Du mit den NT5 Nieren hast, musst Du etwas weiter weg gehen. Entfernung vom eben bestimmten Punkt zum Orchester Messen. Dieser Wert x 1,4 ist ein guter Richtwert, um mit den Experimenten zu beginnen.
AB kannst Du ausprobieren, allerdings auch ein EBS, NOS oder ORTF. Je nachdem, welchen Winkel Du benötigst.
MIt AB bist Du relativ flexibel: Je weiter Du auseinander gehst, umso kleiner wird der Aufnahmewinkel. Probier doch einfach mal 40 oder 45cm aus, das könnte grob klappen.
Wenn Du sicher sein willst, kannst Du Dir die App MicTools installieren. Da kannst Du das genau bestimmen.

Dann noch stützen.
Auf jeden Fall Bässe. Gerne auch Celli.
Wenn die 2. Geigen gegenüber den 1. Geigen sitzen, strahlen sie mehr nach hinten ab, dann also auch sie. Sitzen sie neben den 1. Geigen, müssten sie auch so laut genug sein.

Der Pauker (in der Regel kein Heini) spielt nie Becken. Er spielt Pauken. Becken spielen die Schlagzeuger daneben. Da hilft eine Stütze auch immer.

Gut auch hinter (!) den Hörnern. Sonst klingen sie nur von vorne aufgenommen etwas indifferent.

Mit Laufzeitkorrektur würde ich jetzt erstmal nicht rumspielen. Erst mal so lassen.

Viel Spaß dabei, so ein großes Orchester ist eine spannende Sache zum Aufnehmen!
Und viel Erfolg.

 

[SGW1]

Eben die Skizze nochmal angesehen: ". Geige gegenüber der 1. Geige. Also sind die 2. vorne leider als die 1. und sollten gestützt werden.
Posaunen sind eingezeichnet. Keine Trompeten?

 

[Findelgrimm]

Okay, vielen Dank schonmal für die bisherigen Antworten.

@SlimJim: Daran, dass der wahrscheinlich auch das Becken schwingt habe ich tatsächlich nicht gedacht.

@Cherry50:
"Vielleicht kannst Du ja auch, wenn es eine Probe ist, zwei bis drei verschiedene Setups fahren."
Ja, ich hoffe, dass dies möglich sein wird. Wegen möglicher Phasenprobleme bei den Mikrofonen hab ich keinen schlauen Masterplan, ich werd da wohl im Mixing Thread nochmal getrennt nachfragen, welche Delayzeiten die besten sind.

@Mikesilence
Für den Decca Tree fehlen mir 3 gleiche Mikrofone mit Kugelcharakteristik, oder funktioniert dies auch mit unterschiedlichen.

@Suboptimal:
Naja, ich werde natürlich schon versuchen die 10 Mikrofone möglichst sinnvoll, gemäß ihrer Sitzordnung, im Stereopanorama zu verteilen, dass ein Stereoeffekt entsteht.

@Alle:
Unter normalen Umständen würde ich ein gutes Stereopaar + Stützmikrofone wählen. Die idee möglichst viele Mikrofone möglichst nahe an den Musikern aufzunehmen kam nur aufgrund der schlechten Akustik. Scheinbar ist diese Vorgehensweise aber doch eher unüblich ...
Wenn ich nun doch ein Stereopaar wählen würde, was wäre euer vorgehen? Rode NT2 Richtcharakteristik Kugel und 2 Meter auseinander? Wie weit vom Orchester entfernt?

 

[SGW1]

NT2 auf Kugel kannst Du auch einsetzen.
Bei der schwierigen Akustik kannst Du aber evtl mit einer Niere (NT5) sicherer fahren.
2 Meter ist zu weit ausienander.
40-50cm reichen erstmal völlig.

DECCA Tree kannst Du auch mal mit 3 Nieren (NT5) probieren.
Aber darauf achten: die mikrofone müssen alle mindestens 1m Abstand zueinander haben. Der rest ist Ausprobieren.
Versuchsmöglichkeit: 2m Breite und das mittlere 1m nach vorne.
Ein Decca Tree darf aber nicht vor dem Orchester stehen, sondern "drinnen". Dei seitlichen Mikrofone also zwischen den beiden Geitengruppen und das mittlere vor dem Dirigenten.
Keine Laufzeitkorrektur. Wenn Du das mittlere Mic um mehr als 2-3dB absenken musst, stimmt die Aufstellung nicht.

 

[suboptional]

@Suboptimal:
Naja, ich werde natürlich schon versuchen die 10 Mikrofone möglichst sinnvoll, gemäß ihrer Sitzordnung, im Stereopanorama zu verteilen, dass ein Stereoeffekt entsteht.

Das ist aber dann immer noch gepanntes Mono und nicht 'echtes' Stereo durch eine Stereo-Mikrofonierungsweise (zb XY, AB, ORTF oder die anderen hier im Thread genannten).

 

[m4d3raIn]

Decca-Tree plus zwei weitere Stückmikros...

Klasse Idee nem Anfänger Decca Tree zu empfehlen!


Mach ein EBS mit einem Rode NT5 Paar... da kannst du dann auch direkt sehen wo du es für die perfekte Stereobreite hinstellen musst...

 

[SGW1]

DECCA Tree ist elend, wenn man sich noch überhaupt nicht auskennt.
Aber da er es unbedingt wissen wollte ...

EBS ist prima, da der Mikrofonwinkel dem Aufnahmewinkel entspricht. Da lässt es sich sehr einfach zielen.
Mit der genannten App ist ein AB auch recht einfach zu positionieren.

 

[m4d3raIn]

Mit der genannten App ist ein AB auch recht einfach zu positionieren.

Welche App?

Ah....MicTools

 

[Findelgrimm]

Okay, danke nochmal für die vielen Infos!

Am liebsten würde ich nacheinander mit EBS, ORTF, AB und XY experimentieren, aber ich denke es wird mir nur einmal möglich sein, wirklich umzubauen. Decca Tree fällt, nach allem was ich so gehört habe, aufgrund der schlechten Akustik eher raus.

Also bleibt zu überlegen: das Haupt-Stereopaar als AB oder EBS?
Blöde Frage: EBS waren 2x Kleinmembraner im 90* Winkel zueinander (und 45° gemessen zum Boden) mit einem Abstand von 25 cm voneinenader von oben (2 Meter?) auf das Orchester gerichtet und im Zentrum positioniert?

Ich denke ich versuche einmal die Wirre "möglichst-nahe-ran Methode" und baue dann in der Pause um und nutze dann parallel AB mit Rode NT2 Kugel und EBS mit Rode NT5 (hab dann immernoch 6 Stützmikrofone). Dann kann man die Aufnahmemethoden im Mixing schön vergleichen und sich dann für die gelungere Version entscheiden.

Wenn es einigermaßen hinhaut werde ich versuchen das ganze anschließend hier hochzuladen.
Ich pack dann gleich mal meine Sachen ...

 

[m4d3raIn]

und im Zentrum positioniert?

Nein der Witz bei EBS ist, dass du über die Mikrofone die Seite des Orchesters anpeilen kannst und damit eine perfekte Stereobreite bekommst.


Auf keinen Fall XY bei Klassik!

 

[Findelgrimm]

Neee, XY war nie mein Fall. ich meinte mit "im Zentrum", dass der Mikrofonständer möglichst in der Mitte des Orchesters steht (während die Mikros die Seiten des Orchesters anpeilen) und nicht davor.
Oder sollte es vor dem Orchester stehen?

Ach stimmt, SWG hatte ja schon geschrieben:
"Wenn das Orchester spielt, einfach mal aus größerer Entfernung langsam auf das Orchester zugehen. Der Punkt, an dem Du das Orchester sowohl direkt als auch aus dem Raum gleich gut hörst. ist ganz grob der Hallradius."

Soll an diese Stelle auch die EBS Kombination?

 

[m4d3raIn]

Soll an diese Stelle auch die EBS Kombination?

Das EBS soll an den Punkt an welchem es mit 90° Öffnungswinkel auf den Rand des Orchesters zeigt!!!!

Ach stimmt, SWG hatte ja schon geschrieben:
"Wenn das Orchester spielt, einfach mal aus größerer Entfernung langsam auf das Orchester zugehen. Der Punkt, an dem Du das Orchester sowohl direkt als auch aus dem Raum gleich gut hörst. ist ganz grob der Hallradius."

Wenn du so vorgehst (an sich die besser klingende Variante aber anspruchsvoller) musst du die Mikrofonierung mit Breite und Öffnungswinkel an den gewählten Punkt anpassen, damit die Stereobreite passt.

 

[SGW1]

Welche App?

Eben die.
Da kann man auch durch die Kamera richtig schön die Ränder des Orchesters anpeilen.

Oder mit weniger Funktionen aber dafür kostenlos ist eine neue Ap von Neumann.

 

[SGW1]

Und? Wie ist es gelaufen? Was hast Du nun gemacht und wie klang es?

 

[Findelgrimm]

Tja, ich hab zwar viel gegrübelt über die Mikrofonpositionierung, aber den Arbeitsaufwand des Auf- und Abbaus von 10 Mikrofonen total unterschätzt! Stand noch längere Zeit im Stau und hatte dann kaum Zeit alles ordentlich aufzubauen. Musste dann Kompromisse machen bzgl. mancher Mikrofonpositionen, da das Orchester schon saß und probte. Ich konnte ja nicht vor den ersten Geigen rumturnen um nochmal die Höhe des Stativs zu verändern während der Dirigent schon konzentriert den Taktstock schwingt.
Ich war dann schon froh als ich zumindest alle Mikrofone angeschlossen und ordentlich eingepegelt hatte.
Ich begann wie geplant mit der unkonventionellen: Kein-Stereomikrofon-dafür-jede-Gruppe-mikrofoniert Aufstellung, um dann in der Pause zu AB und EBS wechseln. Leider war diesmal die Pause so kurz, dass mir dafür keine Zeit blieb aber wenn ich dort nochmal eine Aufnahme mache, wird es definitiv ein Vergleich von AB und EBS werden.
Das Ergebnis war aber auch so einigermaßen okay denke ich. Ich hab gestern Abend die 10 Spuren grob im Stereopanorama verteilt. Hinterher hab ich dann noch die Position der Mikrofonstative ausgemessen, um das genauer abzustimmen und damit ich möglicherweise die Aufnahme auch in der Tiefe anpassen kann (von wegen individuelles Delay für die einzelnen Spuren, aber das wird ein ein Kapitel für sie).
Hier wären einige Ausschnitte von gestern Abend. Für eine Probe eines Jugendorchesters, spielen die schon ganz gut. Klanglich nicht zuviel Hifi erwarten, ich hab das gestern Abend während der Aufnahme auf Kopfhörern gemischt um mir eine erste Vorstellung zu machen. Hab vor allem einen Kompressor und nen Hall draufgelegt, ich hoffe im Feinschliff ist da ist noch mehr rauszuholen (das wird allerdings noch etwas dauern, da ich erstmal ein paar Tage in Urlaub fahre). Aber gerne schonmal Tipps für den weiteren Mix abgeben ...

Ach so, wenn ihr euch wundert, wieso ihr keinen Kontrabass hört: Von den 50 Leuten fehlten gestern ausgerechnet alle 5 Bässe ...