Meine Top-5 der "Texte, die ich so *nicht* schreiben wollen würde"

[Andaraginga]

Es gibt Texte, die Zeile für Zeile betrachtet, sprachlich gut geschrieben sind, bei denen ich aber trotzdem das Gefühl hab, dass sie nicht richtig funktionieren oder irgendwas nicht passt.

Grund sind keine kleinen handwerklichen Sachen, sondern Probleme mit dem "Großen Ganzen", also das Fehlen irgendeiner Grundidee oder das Sich-Verlieren in widersprüchlichen Ansätzen.

Nach viel Erinnern, Sammeln und Ordnen ist die folgende Zusammenfassung entstanden, meine persönliche Top-5 der "Texte, die ich so *nicht* schreiben wollen würde".
Widersprüche, Ergänzungen und/oder passende Namensvorschläge sind willkommen.


1) Text, der auf Spannung ausgerichtet ist durch kryptische Formulierungen oder ein scheinbares Geheimnis, dieses aber nie auflöst oder sonstwie befriedigend zum Abschluss bringt, sondern sich irgendwann verliert oder "einfach so" endet.

2) Text, der alles sachlich genau und "richtig" erklärt, aber nie auf eine andere, emotionale Ebene kommt, wo eine Verbindung zum Hörer/Leser aufgebaut wird.

3) Text mit (vielen) Einwürfen, die vom Hauptinhalt wegführen und verwirren und nur verwendet werden, weil man glaubt, dass Ausführungen über dunkle Wolken, vorbeilaufende Menschen oder blühende Blumen immer irgendwie passen und Stimmung erzeugen.

4) Text, der nur eine bestimmte Meinung rüberbringen will, dafür Argumente oder Beispiele auflistet, aber nicht daran arbeitet, dass das Ganze "musikalisch" ist, Steigerungen hat, Überraschungen, Passagen mit Hook-Charakter und dergleichen.

5) Text, der etwas tatsächlich Erlebtes verarbeitet und dieses (bewusst oder unbewusst) genau so wiedergeben will, wie es "in echt" passiert ist, egal, ob dies von Abfolge, Detailtiefe, Spannungsverlauf auch für Außenstehende Sinn ergibt oder nicht.

 

[Teestunde]

Texte, die ich (im Nachhinein) nicht hätte lesen wollen, kommentiere ich (meistens) nicht. Außer, wenn es mich zu sehr reizt.
Genervt bin ich vor allem von überheblich geschriebenen Texten, egal, welches Thema.

Deine Ausführungen sind sehr klug und inspirieren mich, danke dafür!

 

[Brunhilde]

Unauthentische Texte reizen mich nicht so.
Das passiert schnell, wenn Außenstehende über Themen schreiben, welche sie selbst nicht betreffen.
Also im Prinzip das Gegenteil von deinem Punkt 5).

Auf Teufel komm raus auf einer Fremdsprache zu Texten, finde ich auch nicht so toll.

 

[moon-dog]

Genervt bin ich vor allem von überheblich geschriebenen Texten

Bezieht sich das auf den Stil oder den Inhalt?

 

[SoulFrontier]

Unauthentische Texte reizen mich nicht so.
Das passiert schnell, wenn Außenstehende über Themen schreiben, welche sie selbst nicht betreffen.

Hm, Major Tom und der Rocketman zb.
Ganz schlimm, hehe.
Schreiben überhaupt darf man nur über Sachen, die einen selber betreffen. Weil?
Jo Du, is sonst "unauthenttisch".
Kannste Dir nicht ausdenken.

 

[Brunhilde]

Hm, Major Tom und der Rocketman zb.
Ganz schlimm, hehe.
Schreiben überhaupt darf man nur über Sachen, die einen selber betreffen. Weil?
Jo Du, is sonst "unauthenttisch".
Kannste Dir nicht ausdenken.

Ja. Ich empfinde das so. Aber kein Grund zynisch zu werden, meine Meinung hat keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit.
Zum Unterhaltungszweck ist es, aus meiner Sicht sogar in Ordnung, sich in die Fiktive zu stürzen.
Das ist nämlich nicht das, was ich damit meinte.

 

[Teestunde]

Bezieht sich das auf den Stil oder den Inhalt?

Beides.

 

[artname]

Ich mag im Grunde nicht über Texte schreiben, die ich nicht schreiben mag. Ich wähle Ideen aus meinen Einfällen wie Speisen aus Speisekarten - mein Geschmack entscheidet schnell … und täglich anders.

Ich liebe es, über Texte zu schreiben, die ich schreiben mag.

 

[artname]

Einer meiner aufschlussreichsten Filme hieß wohl „Picasso malt“. Darin zeichnete (?) Picasso u.a. zunächst klar und verständlich gegenständlich , löschte diese Zeichnung(en) wieder und malte anschließend einige abstrakte Striche drüber, die absolut der Bildaufteilung der vorgegangenen Zeichnung(en) entsprach. Und plötzlich konnte ich abstrakte Malerei gegenständlich sehen!!!

Vorher hätte ich die abstrakte Malerei u.a. so umschreiben können:

ein scheinbares Geheimnis, (das sich) nie auflöst oder sonstwie befriedigend zum Abschluss bringt, sondern sich irgendwann verliert oder "einfach so" endet.

Seither gehe ich bei der Kunst davon aus, dass hinter jedem Geheimnis tatsächlich etwas Konkretes stehen kann, welches der betreffende Künstler nicht jedermann offenbaren will. Kein Grund für mich, mir den Kopf darüber zu zerbrechen, aber auch kein Grund, mich selber beim Schreiben vor Missverständnissen zu fürchten.

Gleichzeitig habe ich fast immer bewusste Vorstellungen, wenn ich etwa gängiger erscheinende Formulierungen vermeide oder eine allgemeine Formulierung einer konkreteren vorziehe.

Lieber @Andaraginga , eventuell verstehe ich dein Anliegen in diesem Faden aber auch noch nicht hinreichend… Sorry

 

[artname]

1) Text, der auf Spannung ausgerichtet ist durch kryptische Formulierungen oder ein scheinbares Geheimnis, dieses aber nie auflöst oder sonstwie befriedigend zum Abschluss bringt, sondern sich irgendwann verliert oder "einfach so" endet.

Wenn AutorInnen tatsächlich ein Geheimnis wahren wollen , dann ist dieses doch kein „scheinbares“ mehr. Wenn sie es hingegen auflösen würden, wäre es doch dann kein Geheimnis mehr.

Warum soll man nicht über Dingen schreiben wollen, die kein Mensch je sehen wird: beispielsweise die Seele, das Geheimnisvolle des Herzens , Gott, legendäre Schätze, ein Proton, das Vertrauen und und und. Meines Erachtens bezeichnen unendlich viele Worte abstrakte oder geheimnisvolle Phänomene, die lediglich durch ihre ewige, klischierte Wiederholung als „Lösung“, als Fakt akzeptiert werden.

Welches Medium ist geeigneter als die Kunst, über ungelöste oder angebliche Geheimnisse zu spekulieren?

Es ist dein gutes Recht, darüber zu schreiben, was du nicht schreiben möchtest. Ich erwarte nicht unbedingt eine Antwort, denn oft ist es ja tatsächlich nur ein Gefühl, was uns plötzlich schreiben lässt oder eben nicht.

 

[Verney]

Genau so einen Text habe ich auch gerade in „der Schublade“. Demnächt in diesem Kino

Man sollte sich dazu vergegenwärtigen, dass es beim Songwriting in erster Linie um das „wie“ geht, also wie erzähle ich den Witz, etc.

Historisch war es der Hofnarr, der in Verse verpackt die Wahrheit so sagen durfte, dass man darüber lachte. Konkret ausgesprochen wäre man für die gleiche Aussage vermutlich hingerichtet worden.

 

[SoulFrontier]

Ich fände es besser/ einfacher/ produktiver, wenn Du das umformulierst.
Das menschliche Gehirn kann keine Verneinung bzw hat damit Probleme.

Es wäre also gut wenn Du sagst was für Texte Du schreiben willst.
Für Deine obige Aufzählung fehlen mir auch konkrete Beispiele an Texten.
So kann ich damit leider wenig anfangen.

 

[Turquoise]

Da sie Widerspruch erregt, scheint @Andaraginga 's Stichpunktliste irgendwie kontrovers zu sein.


Ich versuche darum mal, die Punkte so zusammenzufassen, wie ich sie verstanden habe...:

1) Text, der auf Spannung ausgerichtet ist durch kryptische Formulierungen oder ein scheinbares Geheimnis, dieses aber nie auflöst oder sonstwie befriedigend zum Abschluss bringt, sondern sich irgendwann verliert oder "einfach so" endet.

Der Geheimniskrämerei-Text

2) Text, der alles sachlich genau und "richtig" erklärt, aber nie auf eine andere, emotionale Ebene kommt, wo eine Verbindung zum Hörer/Leser aufgebaut wird.

Der Perfektionismus-Text

3) Text mit (vielen) Einwürfen, die vom Hauptinhalt wegführen und verwirren und nur verwendet werden, weil man glaubt, dass Ausführungen über dunkle Wolken, vorbeilaufende Menschen oder blühende Blumen immer irgendwie passen und Stimmung erzeugen.

Der Thema-Zerreden-Text

4) Text, der nur eine bestimmte Meinung rüberbringen will, dafür Argumente oder Beispiele auflistet, aber nicht daran arbeitet, dass das Ganze "musikalisch" ist, Steigerungen hat, Überraschungen, Passagen mit Hook-Charakter und dergleichen.

Der Propaganda-Text

5) Text, der etwas tatsächlich Erlebtes verarbeitet und dieses (bewusst oder unbewusst) genau so wiedergeben will, wie es "in echt" passiert ist, egal, ob dies von Abfolge, Detailtiefe, Spannungsverlauf auch für Außenstehende Sinn ergibt oder nicht.

Der Zwanghafte-Chronologie-Text



Ungefähr so?

 

[Turquoise]

Welches Medium ist geeigneter als die Kunst, über ungelöste oder angebliche Geheimnisse zu spekulieren?

Darum geht es doch überhaupt nicht in Andaragingas erstem Punkt. Natürlich kann man über Geheimnisse und Geheimnisvolles schreiben.

So wie ich Andaraginga verstanden habe will er nicht geheimnisvoll tun, um damit den Eindruck zu erwecken, es ginge um etwas ganz ganz Besonderes - obwohl der Text das Versprechen dann nie einlöst.

 

[SoulFrontier]

Ohne konkrete Negativ Beispiele bleibt das alles nebulös.
Beim Lesen der Beschreibungen finde ich kein momentan keine entsprechenden Texte. Die gibt's gewiss.
Das Einzige, was mir immer sofort einfällt ist das imo unterirdische "ich bin wieder hier in meinem Revier..." bla bla vom Marius. Lol. Ewiger "Burner"!
Ich mach einen Reim
Aus Asche und Schleim
Der haut Dich dann weg
Nur das ist sein Zweck usw usf

 

[Freddy All]

Auf Teufel komm raus auf einer Fremdsprache zu Texten, finde ich auch nicht so toll.

Das macht nichts

 

[Freddy All]

@Andaraginga
alle deine "Einwände" sind sehr Abstrakt und was einige Songtexte betrifft, die in einem Song funktionieren sind der beste Beweis dafür, dass die Songtexte ein eigenes Leben haben, wenn die Musik und Interpretation stimmen.

 

[mWermut]

..nächste Stufe, wie kann man die aufgezählten Aspekte vermeiden..

Ich versuche darum mal, die Punkte so zusammenzufassen, wie ich sie verstanden habe...:

1) Text, der auf Spannung ausgerichtet ist durch kryptische Formulierungen oder ein scheinbares Geheimnis, dieses aber nie auflöst oder sonstwie befriedigend zum Abschluss bringt, sondern sich irgendwann verliert oder "einfach so" endet.

Der Geheimniskrämerei-Text

1) ..gib im Text/Titel Hinweise (eine Art Schlüssel), die Verborgenes (aufgebaute Spannung, kryptische Formulierungen, scheinbare Geheimnisse) erhellen..

=> ..dem folge ich nur teils..Verborgenes darf auch diffus oder nicht erklärbar bleiben..

2) Text, der alles sachlich genau und "richtig" erklärt, aber nie auf eine andere, emotionale Ebene kommt, wo eine Verbindung zum Hörer/Leser aufgebaut wird.

Der Perfektionismus-Text

2) ..versuche mit dem Hörer eine gemeinsame Basis von Text-Verständnis herzustellen..

=> ..hilfreich ist hier Sensorik-orientiert zu schreiben, da uns die fünf Sinne gemein und ähnlich konditioniert sind..Empfindungen etc (6. Sinn) sind oft übertragbar, aber Achtung: Jedes Gehirn ist ein Unikat und damit Ausdruck von Individualität..

3) Text mit (vielen) Einwürfen, die vom Hauptinhalt wegführen und verwirren und nur verwendet werden, weil man glaubt, dass Ausführungen über dunkle Wolken, vorbeilaufende Menschen oder blühende Blumen immer irgendwie passen und Stimmung erzeugen.

Der Thema-Zerreden-Text

3) ..richte beim Schreiben deinen Fokus auf deine Songstory und vermeide funktionslose Ausschmückungen..

=> ..um in einen Songtext (oder einen Textteil) hinein zu tauchen, kann es helfen mit atmosphärischen Bildern gefüttert zu werden..damit bekommt die folgenden Story einen Kontext..

4) Text, der nur eine bestimmte Meinung rüberbringen will, dafür Argumente oder Beispiele auflistet, aber nicht daran arbeitet, dass das Ganze "musikalisch" ist, Steigerungen hat, Überraschungen, Passagen mit Hook-Charakter und dergleichen.

Der Propaganda-Text

4) ..lass dem Leser/Hörer deines Text Raum deinen Songtext individuell zu verstehen..inspiriere ihn dabei durch die verwendeten (Text)Kompositions- und Rhetorik-Muster

=> ..mitunter funktioniert innerhalb von Gruppen (z.B. in Kirchen-Gemeinden, auf Demos) ein "Scheuklappen"-Text trotzdem gut, weil er etwas Gemeinschaft-stiftendes haben kann

5) Text, der etwas tatsächlich Erlebtes verarbeitet und dieses (bewusst oder unbewusst) genau so wiedergeben will, wie es "in echt" passiert ist, egal, ob dies von Abfolge, Detailtiefe, Spannungsverlauf auch für Außenstehende Sinn ergibt oder nicht.

Der Zwanghafte-Chronologie-Text

5) ..wäge bei Songstorys, die reale Gegebenheiten beschreiben zwischen Echtheit und Glaubwürdigkeit ab..Echtes kann um verwirrende Details gekürzt werden ohne weniger glaubwürdig zu sein..

=> ..ganz ohne "vom Leben geschriebene" Details, kann ein Songtext leblos wirken..

m.

 

[Freddy All]

Da wir hier über Songtexte reden, nenne ich ein Gegenbeispiel.

Das Lied von der Loreley von Heinrich Heine.

Als Gedicht finde ich ihn wunderschön! Die musikalischen Umsetzungen dieses Textes haben mich nur enttäuscht, habe einige von den gehört. Man kann zu einem einfachen Text sehr gute Musik machen und viele würden es feiern, ob der Text diese o.G Merkmale aufweist oder nicht, spielt keine Rolle mehr. Man kann auch den schönsten und tiefsinnigsten Text mit schlechter Musik und Interpretation verhunzen.
Wie du es selbst beobachtest, kann man durchaus jedem Punkt seine persönliche Note verleihen.
Ich werde diese Diskussion weiter verfolgen um zu sehen, wie ein Punkt nach dem anderem in jegliche Position gerückt wird, weil es interessant ist, wie ein Jeder sich damit auseinander setzt.

​

 

[Andaraginga]

Da sie Widerspruch erregt, scheint @Andaraginga 's Stichpunktliste irgendwie kontrovers zu sein.
Ich versuche darum mal, die Punkte so zusammenzufassen, wie ich sie verstanden habe...:
Der Geheimniskrämerei-Text
Der Perfektionismus-Text
Der Thema-Zerreden-Text
Der Propaganda-Text
Der Zwanghafte-Chronologie-Text

Ungefähr so?

Das gefällt mir sehr gut.
Inhaltlich passend und die Idee dahinter gut getroffen.

Ich wollte ursprünglich eigentlich "nur"auf einen Thread von Ennui antworten, was für Themen man sich für einen Lyric-Workshop wünschen würde. Bisschen genervt von der üblichen Kleinkrämerei hab ich gesammelt, was mir immer wieder auffällt und mich im viel Grundsätzlicheren stört.

Und als ich da dann so dabei war, wollte ich einfach im Unkreativen kreativ sein, verdichten, verpacken, ein bisschen provozieren und dem Ganzen einen knackigen Einstig und Titel verpassen. Das ist die Entstehungsgeschichte.

Ich find meine Beschreibungen in der gegebenen Kürze gut getroffen und hab auch zu jedem Typ ein oder mehrere Beispiele im Kopf, wollte aber eben nicht Beispiele rauspicken, sondern das dem zugrunde liegende beschreiben.

Konkrete Texte unkonkret schlecht oder gut zu finden (also ohne genau erklären zu können, warum eigentlich) haben wir ja oft. Was ich probiert hab, ist quasi das Gegenteil davon.