kopfüber im landunter

[artname]

Hier ein andere Versuch des Storytellings. Ich liebe solchen Old-Stuff-Kram. Auch wenn ich sowas selten reinstelle. Ich höre hier übrigens eine Art Balkanmusik ... so ala Bregovic.

KOPFÜBER IM LANDUNTER

An diese Haken kannst du deine Sachen hängen
hier ist die Küche und das Bad liegt vis-a-vis
Ein Kühlschrank reicht, falls einer von uns beiden reich wird.
Stör mich beim Lesen auf dem Klo am besten nie

Dein Gästebett das kann in dieser Ecke bleiben
ein paar Wochen und dann sehen wir was kommt
ich brauch nur etwas Sonnenlicht und Platz zum Schreiben
und ein weichen Schlafsack für den harten Kopp

Ich hänge mein Herz nicht mehr an Plunder
Am besten wir bleiben kopfüber landunter

Im Kühlschrank findest du nur Kefir und Rosinen
und Aldi um die Ecke schließt erst gegen Neun
dort fass ich mir ein Herz und scherze mit Russinnen
die kleinen Täubchen die verstehen was ich mein'.

Die alte Kneipe an der Ecke hat geschlossen
für eine nächste Kita oder Schischabar
die Helden meiner Kindheit ham sich totgesoffen
Es warn zu viele um zu wissen wie es kam

Ich hänge mein Herz nicht mehr an Plunder
Am besten wir bleiben kopfüber landunter

SOLO

Dein Gästebett kann in der Ecke bleiben
ein paar Wochen und dann sehen wir was kommt
ich brauch nur etwas Sonnenlicht und Platz zum Schreiben
und ein paar Jahre noch für uns - mein Enkelsohn.

Ich hänge mein Herz nicht mehr an Plunder
Am besten wir bleiben kopfüber landunter

 

[Teestunde]

Es warn zu viele um zu wissen wie es kam

Was meinst du mit der Zeile?

 

[artname]

Tja

Hi @Teestunde: Die Zeile ist ein zarter Hinweis darauf, dass man in der ersten Hälfte des Lebens zu viele Leute Freunde nennt, von denen man im Grunde nur Banalitäten weiß.

Danke dass du den Text aus der Versenkung erlöst. Ich nutz viel zu selten Monologe für Storytelling. Dabei sind sie eine tolle Möglichkeit, mal über Ansichten zu räsonieren, ohne von einem konkreten Thema allzu krass eingeschränkt zu werden.

 

[rho]

Mir gefällt am Besten die späte Auflösung, dass sich das LI an den Enkel wendet. Und die Hook bzw. der Titel gibt dem ganzen eine sehr melancholische Stimmung, für ich ja eine Schwäche habe.

 

[artname]

@rho , Herzlichsten Dank für die Bewertung gerade dieses Textes. Ich gebe zu, dass er in den letzten Tagen mit Abstand mein Lieblingstext war! Weil er ohne jede Hybris auskommt.

Ich weiß nicht, warum der Text bisher so wenig Interessenten fand. Vielleicht schreibt mal jemand, warum ihm der Text NICHT so gefällt.

 

[rho]

Manchmal passiert's eben. Meine "Moritat" war mein Lieblingstext seit langem und hat hier kaum Resonanz gefunden.
"KOPFÜBER IM LANDUNTER" ist sozusagen am anderen Ende der Skala, (ver)söhnlich, (groß)väterlich, kurz: uncool Für mich genau richtig.

 

[artname]

@rho : Du meinst "versöhnlich" und "Familie" sei uncool? Sehe ich ganz anders. Leisetreterei ist doch sowas von angesagt. Ernsthaft!

 

[rho]

Bei "angesagter Leisetreterei" denke ich an die weinerliche Gefühligkeit eines Philipp P.
Daran gemessen ist dein Text schon cool, oder besser gesagt trocken und lakonisch, aber für mein Verständnis ohne echte Reibungsfläche. Und die vermisse ich hier auch nicht.

 

[artname]

@rho , Danke! Nett gesagt.

Aber ich meine das noch etwas anders. Ich meine, dass einerseits die Welt vor einer Klima-, Finanz- und Ressourcenkrise ungeahnter Dimenssionen steht und ...- alle Betroffenen klammern sich an ihre Besitztümer. Wer was zu verlieren hat, schweigt aus der vermeintlich sicheren Deckung elequent. Und der Rest ist zu arm und schwach, um sich zu wehren.

Mein LI zählt zur zweiten Gruppe. Er verbindet mit Zukunft nur noch seinen Enkel. Er ist schon landunter, versucht aber noch den Kopf oben zu halten. Ist das nicht Reibungsfläche genug?

 

[Klauski]

Ich weiß nicht, warum der Text bisher so wenig Interessenten fand.

lieber Artname
Deine Texte sprechen mich sehr an und - sie sind für mich of „zu tief“ um nur mal kurz drüberzulesen. Und dann ist meine Zeit und ich komme nicht dazu Dir zu antworten, Ich bleibe oft an manchen Sätzen hängen - auch bei Deinen Kommentaren, und denke darüber nach, was Deine Motivation ist und welche Lebenserfahrungen Du so gemacht hast. Und da Du hier sehr viel von Dir preisgibst, auch und gerade sehr viel persönliches, schätze ich Deine Texte und Kommentare sehr. Beim Battle habe ich mir gedacht, ich schreib Dir mal eine PM, Du solltest Dich doch etwas emotional zurückhalten und die Sache nicht so ernst nehmen.

Ich bin mir sicher, dass mir früher oder später auch zu Deinen Texten etwas musikalisches einfällt, das muss bei mir aber spontan sein, sonst eiere ich da zu lange an einer Melodieführung rum. Ich denke ich muss mich in der Rolle des LI wiederfinden, dann klappt das am besten.

Auch dieser Text hat eine sehr schöne Stimmung und drückt für mich gut aus, was Du vermutlich rüberbringen willst, so etwa wie das Apfelbäumchen vor dem Weltuntergang.

 

[rho]

Lieber @artname, deine Argumente verstehe ich und sie sind mir sympathisch und vertraut (Harald Welzer: Selbst denken // Stiftung "Futur Zwei"), aber den Bezug den du herstellst finde ich nicht im Text, was an meiner Beschränktheit liegen mag. Ein Song müsste außermusikalisch (z.B. in einem Video) damit aufgeladen werden. Dafür wäre er bestens geeignet.
Die 10000-$-Frage wäre für mich, ob es dem Text schaden würde, wenn man den genannten Bezug deutlicher im Text benennt.

 

[artname]

Deine Texte sprechen mich sehr an und - sie sind für mich of „zu tief“ um nur mal kurz drüberzulesen.

Danke, lieber @Klauski : Danke für deine von mir als herzlich empfundenen Worte,

Ich bleibe oft an manchen Sätzen hängen - auch bei Deinen Kommentaren, und denke darüber nach, was Deine Motivation ist und welche Lebenserfahrungen Du so gemacht hast. Und da Du hier sehr viel von Dir preisgibst, auch und gerade sehr viel persönliches, schätze ich Deine Texte und Kommentare sehr.

Warum soll man nicht persönliches preisgeben? Meine schönsten Vorbilder strotzen von Bildern, die man erlebt haben muß, um eben noch banal erlebte Details plötzlich in lyrische Juwelen verwandeln zu können. In meinem ersten öffentlichen Song beschrieb ich das dramatische Disaster meiner Scheidung schwarzhumorig. Fast alle Details waren real. Nur wenig übertrieben. Das Lied fand in allen gesellschaftlichen Schichten ähnlich begeisterte Zustimmung. Seither weiß ich, dass sich Bekennermut auch auszahlen kann.

Später schrieb ich für viele Interpreten. und meinte, ich müßte nun eine allgemeinere Wahrheit als seriösen kleinsten Nenner zwischen allen Zuhörern erfinden. Die Wahrheit ist aber: Meine erfolgreichsten Lieder blieben weiter die mit den extrem persönliche Bezpgen. Nur dass sich ein Teil meiner Interpreten so stark von mir unterscheidet, dass das Publikum NIE mich als Typen auf dem Schirm haben.

Mich langweilen alle Songtexte, die keine oder unstimmige reale Bezüge verraten. Und deshalb bin ich pausenlos mit offenen Augen und Ohren unterwegs. Egal ob auf der Straße, beim Einkaufen, bei Besuchen, im Studio, in Zügen....In jeder freien Sekunde dichte oder reime ich. Ich befrage auch auffallend viel und Viele. ( und erzähle dann eher ungern von mir). Warum auch, ich bin ja mit fremden Antworten beschäftigt. - Warum ich das tue. geht nur mich etwas an.

Nun habe aber ich eine Frage:

1.) Was ist falsch daran, erkennbar aus eigener Erfahrung zu schöpfen?
2.) Wie hätte sich die Lyriics entwickelt, wenn sie auf den unverbindlichen Floskeln von "Someday over the rainbow," 1939 erstarrt wäre? Tausende Dichter haben ab dem Sechziger Jahren befreit und offen über ihre Erfahrungen geschrieben.

Der Mensch ist ein friedliebender Papagei. Am liebsten plappert er Anderen nach dem Munde. Das ermöglicht ein scheinbar friedliches Miteinander. Aber eben auch banale Texte. Hier beißt sich der gelangweilte Papagei in den Schwanz.

lg

 

[artname]

Ja lieber @rho : Das hängt von der Entstehungsgeschichte ab.

Ich lag auf dem Sofa und überlegte plötzlich, warum ich noch niemals das vertrauteste Bild meines Lebens beschrieb, welches mir sich mir von dort bietet. Und schon war der Anfang gemacht. Dann kam der Kühlschrank und von dort Einkaufsbilder... Langsam stand mein Kietz Schlange vor dem Tablet und wollte mit in die Story.

Dann bemerkte ich, dass meine Konzentration nachließ. Und nun fragte ich mich routiniert, wen dieser Anblick wohl interessieren könnte. Mir fielen einige, wenige Personen ein.

Aber nur eine überzeugte mich: Mein Enkel. Also überarbeitete ich den Text und hatte dabei Zeit, mir wiedermal sein Leben mit all den düsteren Zukunftsaussichten vorzustellen. Besser, ich versuchte es... aber konnte mir dieses Lebensgefühl eines Kindes NICHT vorstellen. DAS war der Grund, warum ich den Text veröffentlichte.

Denn alles was ich mir vorstellen kann, ist mir als Textmaterial zu steril. Das gilt in erster Linie für MEINUNGEN.

Meine künstlerische Heimat ist das Ausgraben des Ungefähre im scheinbar Konkreten...Jetzt bräuchte ich als letzten Button einen lächelnden Clown.

 

[rho]

Es ist ein Kreuz mit der Tipperei. Ich meinte natürlich in #11, dass ich den Bezug nicht im Text finde. Trotzdem gewährt die Entstehungsgeschichte einen interessanten Einblick in eine deiner Methode der Textproduktion.

 

[Klauski]

Nun habe aber ich eine Frage:

1.) Was ist falsch daran, erkennbar aus eigener Erfahrung zu schöpfen?
2.) Wie hätte sich die Lyriics entwickelt, wenn sie auf den unverbindlichen Floskeln von "Someday over the rainbow," 1939 erstarrt wäre?

Nein es ist nicht falsch, ich denke eher, dass Musik erbaulich sein sollte, wobei auch meine Texte oft alles andere sind als erbaulich sind, texten ist für mich oftmals ein Ventil geworden, so wie es davor das Improvisieren auf der Gitarre war.

Warum soll man nicht persönliches preisgeben?

Das kann ich gut nachvollziehen, Emotion ist die Triebfeder unseres (unreflektierten) Handelns.
Und die meisten Entscheidungen die wir Menschen treffen sind spontan und unüberlegt. Die Argumentation für die Entscheidung suchen wir erst im Nachhinein.
Musik ist Emotion in akustischer Form, Ausdruck von Leidenschaft, Lebenslust und Freude genauso wie Trauer, Schmerz und Niedergeschlagenheit. Musik hat die Eigenschaft, unser emotionales Befinden zu verändern, es spricht eine Region in unserem Gehirn an, die wir eigentlich nicht kontrollieren können. Dieser Bereich steht permanent auf „Empfang“, wenn dann das richtige Signal kommt, geben wir uns vollkommen dieser Musik hin.
Wenn dann ein passender Text diese Stimmung mit den treffenden emotionalen Worten noch verstärkt, handeln die betreffenden Personen unbewusst und singen das Lied laut mit. Das hat wohl jeder schon erlebt.

 

[Turquoise]

Das Lied fand in allen gesellschaftlichen Schichten ähnlich begeisterte Zustimmung.

Kann man das irgendwo mal anhören?

 

[artname]

@Turquoise : leider nicht.

 

[Turquoise]

Schade. Kann man mal ein anderes Lied hören, dass aus einem Deiner Texte geworden ist?

 

[Kosaken-Kaffee]

Schade. Kann man mal ein anderes Lied hören, dass aus einem Deiner Texte geworden ist?

Würde mich wundern. Dann wüsste man ja, wer sich hinter artname verbirgt.

 

[artname]

Nein es ist nicht falsch, ich denke eher, dass Musik erbaulich sein sollte, wobei auch meine Texte oft alles andere sind als erbaulich sind, texten ist für mich oftmals ein Ventil geworden, so wie es davor das Improvisieren auf der Gitarre war.

Erbaulich: Ein Begriff, den ich aus meiner christlichen Vergangenheit her kenne. Eins mit Gott sein, den eigenen Egoismus unterdrückend. Oder kurz: Musik, die Besinnlichkeit erzeugt?
Das lehne ich nicht ab. Aber Erbaulichkeit ist EIN Gemütszustand. Wofür besitzen wir die anderen Gefühle?

Ich sehe leider keinen Grund, warum ich mein Empfinden mit vorrangig mit "erbaulich" oder "weniger erbaulich" bewerten sollte. Ich bewerte lieber nach "empfunden" oder "konstruiert".

Ich beachte auch Regeln. Eigene und fremde. Die wichtigste lautet: Alles hat Folgen, keiner nimmt mir die Verantwortung für die Folgen ab.

Du unterscheidest offensichtlich zwischen unreflektierten Emotionen und beherrschbaren Gefühlen. Ich kenne dazu leider nicht den aktuellen Stand der Gehirnforschung... aber ich bin sehr sicher, dass der Begriff des Reflektierens stets vom jeweiligen Zeitgeist mitbestimmt wird. Und es ist ja nichts Neues, das gerade die Künstler oft mit dem vorherrschenden Zeitgeist auf Kriegsfuß stehen.

Falls ich dich richtig verstanden habe, haben wir gleiche, aber auch unterschiedliche Prämissen.

Bleibt aber die Frage, was an meinem Text ist unerbaulich?