@Turquoise,
kennst Du Beispiele, bei denen Musiker früher völlige künstlerische Freiheit bei ihrem Label-Erstling hatten?
Ist aber heute ganz einfach möglich, wo Tonträgerproduktion und Recording nicht mehr die Welt kostet: Nimm ne CD auf, gründe Dein eigenes Label, spiele 200-250 Gigs/Jahr, vertick die CDs da und nutze die www-Kanäle. Dann kannst Du im Laufe der Jahre eine Fanbase aufbauen, mit völliger künstlerischer Freiheit.
Früher gab es statt CDs halt Kassetten (kann mich noch an das Tape von BAP mit "Wahnsinn" und "Hang on Sloopy" erinnern, das damals im Jugendhaus die Runde machte) und noch kein www mit seinen weltweiten Selbst-Vermarktungsmöglichkeiten.
Also ist doch heute auf den ersten Blick alles viel einfacher.
Ja, im vorletzten Satz steht das Wort "Vermarktung" - an einer solchen kommt man nämlich nicht vorbei, wenn man Erfolg haben will.
Aber letztendlich ist jeder Gig bereits eine Form der Vermarktung. Selbst das "Du, hör Dir mal meine Aufnahme an" ist es bereits.
Wer das Vermarkten nicht beherrscht, hat es heute allerdings ungleich schwerer als früher: Je mehr Möglichkeiten, desto mehr Know-how und Einsatz ist erforderlich, um innerhalb des alltäglichen Grundrauschens als Einzelstimme vernommen zu werden.
Also: Nicht klagen und die Zeit, die man hier mit Diskussionen verbringt, dafür nutzen, sich ein Netzwerk zu schaffen. Wenn der Verwandte, der einen kennt, der beim Radio arbeitet, einem nicht helfen kann/will, muss man halt andere Wege suchen und auch mal darüber nachdenken, ob der Ansatz, ins Radio zu wollen, überhaupt zum besagten Zeitpunkt mit dem besagten Song der richtige war.
Zuerst würde ich immer darüber nachdenken, ob es nicht sinnvoller ist, im Team an den Start zu gehen, statt als Einzelkämpfer. Wobei Team nicht gleichbedeutend mit Band ist und ich nicht weiß, ob Du nicht bereits ein Team hast.
Ach so: Ich glaube nicht, dass es irgendeine, mit einem gewissen Talent/Können erzeugte, Musik gibt, die "zu schlecht" ist, als das sie nicht in einer bestimmten Zielgruppe Erfolg haben könnte. Wenn ich natürlich auf den Pfaden Stockhausens wandele, kann ich nicht erwarten, dass mir ein Chartbreaker gelingt.
Ja, zum einen sind das keine besonderen Weisheiten, sondern ist jedem und auch mir klar. Zum anderen reden wir hier über ungelegte und vermutlich nie mehr zu legende Eier. Ich habe in den 1990ern meine erste Band gehabt - also in der Zeit vor dem Internet. Ich war damals der Älteste in der Band und hatte auch am meisten einen Plan. Die anderen leider nicht. Und so wurden tausend Nebenbands gegrüdet, was mich immer ärgerte, weil es Energie von unserer Hauptband abzog. Viele Jahre später gestand mir unser Schlagzeuger, dass es bestimmt etwas geworden wäre, wenn er damals schon so fokussiert gewesen wäre, wie er es jetzt mit seiner eigenen Band (nach unserer Trennung) ist. Dort wiederum machte er die Erfahrung, die ich mit ihm machte: er hatte als einziger den Durchblick und den Willen, die anderen aber zogen nicht so richtig mit.
Mitte der Nullerjahre bis 2010 bestand meine zweite Band. Die Konstellation war immer schwierig, weil der Bassist depressiv war und heftige Tabletten schlucken musste, die es ihm verunmöglichten, sich länger als eine halbe Stunde voll zu konzentrieren. Im Studio musste deswegen sogar ich die Bässe einspielen. Einen Ersatz zu finden gestaltete sich dann recht schwierig und ich hatte einfach nicht die Geduld, Jahr um Jahr zu warten, bis sich die richtigen Leute finden, die zusammen passen und auch zusammen was erreichen wollen. Das war also alles nicht so einfach und wer meint, eine Band zusammen zu stellen kann doch nicht so schwer sein, der hat vielleicht einfach andere Erfahrungen gemacht.
Ich habe mich dann aufs Solo-Dasein konzentriert und erst mal ein Akustik-Album aufgenommen, das aber so anspruchsvoll geworden ist, dass es mich über zwei Jahre Arbeit gekostet hat. Mit dem Solo-Dasein war ich aber unglücklich, weil ich eben ein Bandmensch bin und nie etwas anderes wollte, als eine gut funktionierende Band. In dieser Zeit kam auch noch ein Umzug mit der Familie hinzu - mitlerweile hatte ich zwei Kinder - und dann noch einmal ein ganz ungeplanter Umzug, weil der Besitzer des Hauses, in das wir gezogen waren, seine völlig verschimmelten Wände einfach mit Aluminiumfolie übertapeziert hatte. Als die ersten gesundheitlichen Probleme auftraten, mussten wird schnell wieder raus, mit Kind und Kegel und einem ziemlich großen Hausstand. Das war also eine harte Zeit, in der ich auch noch wie gesagt versuchte, ein Solo-Album aufzunehmen.
Heute bin bin ich 43, habe 4 Kinder, die alle ein vernünftiges Leben führen wollen. Da ist der Zug leider abgefahren und ich kann mir jugendliche Band-Eskapaden und mittelloses Herumgetingele in der Hoffnung auf den guten Deal einfach nicht mehr erlauben. Wenn jemand kommen und sagen würde, hier, hast Du zehntausend Euro Honorar, und dafür machen wir jetzt ein Album, das ich manage und rausbringe, wäre ich dabei. Ich habe noch genug Songs für 15 Alben herum liegen, die kein Mensch kennt. Aber das wird wahrscheinlich nicht geschehen.
Ich weiß, ich habe es wie viele andere zumindest versucht. Und es hat nicht geklappt. Aber das ist schon okay. Das Leben ist größer als das.
Ich denke, das sind Geschichten, wie sie die meisten Musiker erzählen könnten.
Was ich heute jedenfalls nicht brauche
sind Ratschläge, die man einem ungebundenen Zwanzigjährigen geben würde, der noch absolut heiß auf Erfolg ist.
