Harmonielehre - ein Buch mit 7 Siegeln

[Instrumentenfreak]

Hui - hier gehts ja ordentlich weiter^^
Ich bin Profimusiker, bin in Tonstudios unterwegs, mache in vielen Bands Musik und verdiene damit und durch Unterrichten meinen Lebensunterhalt. Ich würde schon behaupten, dass ich die Theorie kenne. Aber: ich verstehe sie oftmals nicht.
Sehr oft habe ich den Eindruck, dass man sich dadurch nur ein Vokabular aneignet, mit dem man lückenlos die bisher geschaffene Musik beschreiben kann.

Musiktheorie ist in meinen Augen nichts anderes als eine Möglichkeit, musikalische Zusammenhänge zu beschreiben.

Ich hatte bisher sogut wie keinen Unterricht, kann aber trotzdem einige Instrumente besser spielen als es viele "Profis" und Musikstudenten können (ich meine nicht den klassischen Bereich). Ich kann improvisieren und habe massig Ideen, die ich auch mehr oder weniger problemlos umsetzen kann.

Die ganze Theorie-Misere fing für mich erst an als verschiedene Musikschulen wollten, dass ich unterrichte. Also habe ich mir Notenlesen beigebracht und mich mit Harmonielehre befasst.

Nun kommt aber der eine oder andere Schüler und fragt mich, WARUM ich das Solo eben so gespielt habe. Oder WARUM ein bestimmter Künstler z.B. H7 anstelle von dem eigentlich passenderen hm verwendet hat. Meine Erklärungen sind dann im Prinzip auswendig gelernte Definitionen (so wie es halt in den Büchern steht):
"Dieses Solo war in mixolydisch G und Grundton, Terz und Quinte der jeweils klingenden Akkorde habe ich auf den Zählzeiten 1 und 3 etwas betont, weil es fürs Gehör angenehmer klingt."
"Der Künstler nahm H7 um Spannung zu erzeugen, da bei dem Akkord ein Leitton vorhanden ist, der beim Zuhörer die Erwartung auslöst einen Zielton zu hören."

So zum Bleistift. Soweit sogut. Ich könnte auch sagen "weil es sich geil anhört" ...
...damit gebe ich mich aber nicht zufrieden^^ Ich will den tieferen SINN der Theorie verstehen. Oder gibt es vielleicht gar keinen und ich jage falschen Hoffnungen hinterher?

 

[BVBFan]

Hoch philosophisch

Du hast recht. Musiktheorie ist nur ein Weg um zu beschreiben warum bestimmte Dinge funktionieren und wie sie funktionieren. Alles was darüber hinaus geht ist die Musik an sich. Und die ist einfach pure Emotion, Gefühl und Leidenschaft. Und das kann man nicht erklären und sollte es auch nicht. Musik muss auch ein Stück weit Mysterium bleiben. Denn das macht ihr Wesen aus.

Natürlich ist Musiktheorie wichtig. Eben damit wir bestimmte Zusammenhänge beschreiben können. Nur so kann man musikalisches Wissen weitergeben oder von anderen Komponisten und Musikern lernen. Aber was willst du mehr? Was soll danach noch kommen? Wenn du in H7 deinen Leitton hat der sich gut nach E auflöst, dann hast du die theoretische Seite damit abgedeckt das du sagst : die kleine Septime hat für unser Gehör eine starke Bestrebung sich aufzulösen und ist deshalb in einem Akkord sinnvoll um Spannung zu erzeugen. Punkt. Aus. Ende. So weit kann man diesen Akkord theoretisch erklären und nachvollziehen. Aber weiter gehts nicht. Ob dieser Akkord nun für dich oder jemand anderen gut klingt und ob man ihn nur einsetzt um Spannung zu erzeugen oder vieleicht ganz anders, hat nichts mehr mit Musiktheorie zutun. Das ist dem eigenen musikalischen Empfinden überlassen und das ist nicht erklärbar.

 

[Icarus123]

Stimme ich soweit zu, allerdings würde ich nicht sagen, dass Harmonielehre nur deskriptiv von Nutzen ist. Ich habe schon öfters von Leuten gehört, dass sie gute Riffs oder so schreiben, aber dann nicht weiter wissen. Wer sich mit Harmonielehre auskennt, muss weniger Ausprobieren, sondern weiß, was zueinander passt und in welchem Tonkontext eine kleine Tonfolge angeordnet bzw. anzuordnen ist. Sowas braucht natürlich nicht jeder, aber es hilft enorm, eine Idee auszubauen und aus einer Melodie flott einen ganzen und stimmigen Song werden zu lassen.

Ein "Warum" gibt es aber natürlich nicht immer. Es gibt schließlich schier unendlich viele Kombinationsmöglichkeiten. Warum man nun über einen Grundton 3mal Quinte und 1mal Terz spielt und nicht umgekehrt, ist nicht zu begründen, sondern individueller Ausdruck.

 

[Cos]

Ich will den tieferen SINN der Theorie verstehen. Oder gibt es vielleicht gar keinen und ich jage falschen Hoffnungen hinterher?

Vielleicht hast du den Sinn ja schon verstanden, mehr gibbet eventuell auch gar nicht.
Ich sehe das ziemlich pragmatisch: Wenn ich über Musik kommunizieren will oder muss, weil es z.B. der Beruf erfordert, dann kann ich die Theorie nutzen, da es sozusagen die "Sprache" ist, die mehr oder weniger allgemein verstanden wird. Wenn die Theorie beim Komponieren hilft, auch gut.
Ich persönlich kann Musik nicht aus theoretischen Grundlagen entwickeln, mein KnowHow in Sachen Musiktheorie ist allerdings auch limitiert. Wenn ich meine musikalischen Ziele trotzdem erreiche, ist mir das aber Schnuppe.

Sinn der Theorie: Kommunikation, Analytik, Komposition, und die Frage, ob man´s in der Praxis braucht.

Grüße
Cos

 

[Instrumentenfreak]

Hey - hier mal wieder ein Beispiel:
Mad World. Ist es nun in D-Dur, oder wie von mir vermutet in G-Dur?
Die Akkorde lassen auf D-Dur schließen:
em, G, D, A,
II, IV, I, V,

...aber vom Gefühl her ist es G-Dur mit alterierter 2.Stufe. Was wäre hier korrekt?

Hier gehts zur Diskussion (ich bin InstruFreak):
http://www.gutefrage.net/frage/in-welcher-tonart-ist-mad-world

 

[Icarus123]

Ich würd dir da Recht geben. Rein faktisch sind es D-Dur-Akkorde, aber für die Grundcharakteristik verantwortlich sind Em und G. Das D kann kann man hier eher als Em und G substituieren, ohne die Grundcharakteristik des Songs zu verändern.