vom „urteilen“ weg holen, zum „darstellen“ überreden
Artname hat Recht. Ich würde zwar nicht ganz auf das Urteilen verzichten, weil es hie und da das Salz in der Suppe sein kann. Aber Darstellen ist über alles gesehen spannender.
Ich will das mal an einem Beispiel zeigen,
@Teestunde, weil Du mMn mit Deiner Anmerkung "Mann beißt Hund" durchblicken lassen hast, dass Du es evtl. immer noch nicht wirklich verstanden hast. Mann beißt Hund ist ansich nämlich noch nicht "Darstellen", sondern bezieht sich eher auf die Auswahl von Erzählenswertem vs. nicht Erzählenswertem. Was man aber beides sowohl erzählerisch darstellen als auch wertend berichten kann.
Ich lese gerade wieder einmal meinen Lieblingsautor Dostojewski. Er ist ein Meister im Darstellen. Auch seine Werturteile transportiert er durch Darstellung. Am besten ist er meiner Meinung nach bei den Dialogen. (Er ist der beste Dialogschreiber, den ich kenne.) Also, hier ein Beispiel des Darstellens a la Dostojewski:
Szene: Eine als dominant bekannte Dame besucht ihren Freund, einen etwas heruntergekommenen Poeten, ehemals eine große Nummer, mittlerweile in Vergessenheit geraten. Sie finanziert ihn (bezahlt seine Wohnung), um sich bei gesellschaftlichen Anlässen mit ihm zu zeigen und durch seine vollendeten Umgangsformen und seine Bildung, die er bei solchen Gelegenheiten aufscheinen lässt, selbst etwas von seinem Glanz abzubekommen. In Wirklichkeit hält sie ihn aber für ein Kind, das eine Kinderfrau (sie selbst) braucht. Sie besucht ihn also, und ärgert sich sofort über seinen offensichtlichen Hang, sich gehen und alles in Unordnung verfallen zu lassen.
Unsereins würde nun vielleicht so schreiben (z.T. wertend):
Stepan hatte sich wieder einmal gehen lassen. Als sie das Zimmer betrat, blickte sie verärgert um sich und bekam einen Wutanfall, der sich fast bis zur Hysterie steigerte. Dann rief sie nach dem Hausmädchen und trug diesem auf, Ordnung zu schaffen.
Dostojewski lässt sie das Zimmer betreten und stellt (aus der Erinnerung, frei nacherzählt von mir) es so dar:
"Meine Güte wie sieht es denn hier aus! Und was ist das für eine Luft! Wie halten sie das nur aus! Hier muss sofort durchgelüftet werden. Wo ist eigentlich Nastassja? Nastassja! Nastassja! Wo bleiben sie! Kommen sie sofort her, hier, räumen sie das weg, und das hier, schön, schön, ja machen sie hin! Und öffnen sie endlich das Fenster, Herrgottnochmal!"
Ich finde die zweite Version viel spannender, als die erste. Da ist richtig saftiges Leben drin. Und - auch hierin stimme ich
@artname zu - die Erzählweise selbst ist die Erzählung. Auf unseren Fall bezogen erfahren wir also durch die Darstellung nicht nur, was die Frau sagte, sondern auch, was für ein Charakter sie ist.
Soviel dazu.
Ich habe aber noch eine zweite, persönliche Anmerkung zu Deinen Texten. Abgesehen von dem, was ich schon öfters dazu anmerkte und was sich auch jetzt in den Anmerkungen der anderen wieder zeigt, stört mich, dass Du:
(von einigen Naturbeschreibungen und Weihnachtstexten abgesehen) immer das gleiche Setting verwendest.
Da ist immer das Ich (und zwar genau mit dieser Bezeichnung - Ich) und da ist immer das Du. Ebenfalls genau so bezeichnet. Das ist ein sich ewig wiederholender Mikrokosmos, der so gut wie nie dadurch aufgebrochen wird, indem man ihn wenisgtens mal in die dritte Person variiert oder - wie bei Shakespeare in Love - noch einen Hund dazu fügt. Nein, immer nur das Ich und das Du. Und zwar das Ich als
die Verratene, zu Schwache, zu Unentschiedene, die Leidende, die Zurückgelassene, sich ewig Sehnende, derweil das Du stets den aktiven, starken, selbstbestimmten Part innehat.
Die Welt ist wesentlich vielfältiger, als dieser ewig wiederkehrende Mikrokosmos. Vielleicht liegt es auch daran, dass ich nach all den emotionalen Irrungen und Wirrungen meines dritten Lebensjahrzehntes froh bin, mich endlich auch mal mit anderen Dingen auseinandersetzen zu können und nicht mehr in dieser nie endenden Jugend gefangen bin. Die war nämlich auf ihre Art auch sehr anstrengend - und hat kaum irgendwo hingeführt. Auch wenn schöne Sachen dabei waren.
Weißt Du, es gibt so Frauen, denen sieht man an, dass sie gerne noch bei den 25-jährigen mitmischen würden, obwohl sie schon 30 Jahre drüber sind. Das ist dann oft nur noch peinlich. Bitte, mache Deine Texte nicht zu solchen Gefangenen, die nicht heraus können aus ihrer Haut...