Phasen beim Empfinden von Mixes

[SOS]

ich habe während des produktions- und vor allem mixprozesses (das erstreckt sich bei mir inkl. revision meist über ein paar wochen) immer so phasen: beim recorden/roughmix denke ich «das klingt schon ganz gut», beim ersten vergleichshören mit referenzen denke ich «oh mann, da bin ich aber noch weit von weg». dann kommt irgendwann die phase «ja, jetzt passt das ganz gut, das kann ich so der band abgeben», gefolgt von «wow, das klingt ja sogar besser als die referenz», zurück zu «na ich komme nicht ganz hin, aber es ist trotzdem gut» dann schliesst man das projekt irgendwann nach ein, zwei revisionen ab, optimiert noch ein bisserl und geht mit einem richtig guten gefühl damit ins mastering. mastering klappt dann super, alles tiptop.

man hat dann vielleicht zwei wochen abstand, hört nochmal rein und denkt «oh mann, das hätte ich aber anders gemacht» bis hin zu «warum höre ich das erst jetzt». 3 monate später denkt man vielleicht wieder «hey, das ist ja ganz geil rausgekommen»...

ich finde das immer wieder schwierig einzuordnen oder lehren daraus zu ziehen. es bleibt die frage: warum ist das empfinden so vedammt relativ, von frust bis hin zu euphorie und zurück zur ernüchterung etc.? ich rede hier nicht vom vergleich von heute auf morgen. wir verschrauben uns alle mal am späten abend und am nächsten tag sieht das ganz anders aus. ich meine das ganze längerfristig gesehen. man gewöhnt sich irgendwie auch über wochen an einen mix, 2 monate später würde man einiges anders machen wollen...

wer kennt das phänomen? wie geht ihr damit um?

 

[User70408]

Da haste schon recht aaaabeeeer

Mich irritieren etwas die langen Zeiträume.
Du schreibst ja von ein paar Wochen ...

Ja und klar denkt man sich öfters wenn man nach längerer Zeit wieder in ein fertiges Projekt reinhört: "Hm, da und da würde ich jetzt anders ..."
Aber das darf einem nicht kratzen, irgendwann muss man das Projekt zu Ende bringen und gut ist!

Man könnte immer besser, das betrifft ja nicht nur den Mix, das ist ja noch die "kleinere" Kunst.
Nimm mal den Sänger, den Musiker, der denkt sich ja auch irgendwann später beim reinhören:
"Hm, das würde ich jetzt "besser" oder "anders" singen/spielen..."

Ich hab das früher in professionellen Studios erlebt, so erlebe ich es auch heute beim Mixen von Eigen - und Fremdproduktionen. Das mit ein paar Wochen liegen lassen und dann nochmal reinhören und falls notwendig nachjustieren klappt nicht. Da ist meist keine Zeit dafür!

Ich möchte das Projekt zügig durchziehen und abschließen:

z.B. ein Song mit echten Instrumenten die von Musikern gespielt werden:
1-3 Tage, je nach Aufwand und Verfügbarkeit der Sänger/Musiker, zum Einspielen - klar muss das Ding bei Aufnahmebeginn schon fertig komponiert, der Text endformuliert und möglichst auswendig singbar sein. Klar müssen die Instrumentalisten ihre Parts, inkl. der Solis, bereits draufhaben!

1-2 Mixsessions, die sich schon jeweils über einige Stunden hinziehen können.

2-3 Tage Abstand dann nochmal reinhören und fertig mixen.

Dann kriegt das Ding der ME meines Vertrauens
Der schmeißt mir das Ding auch nochmal zurück wenn er was negatives bemerkt
Wenn der Mix auch für seine Ohren passt mastert er das Ding und fertig isses.

Mein Traum wäre:
Mit der Band ein Haus für 4 Wochen mieten, irgendwo an der irischen Westküste.
Sich dort ein Studio einrichten.
Gemeinsam die mitgebrachten Songskizzen zu tollen Songs entwickeln.
In Livesituation die Songs aufnehmen.
Miteinander die Songs mixen, so dass sie fertig für den ME.

Leider wird's dass nicht spielen ... aber träumen darf man ja

 

[SOS]

Da haste schon recht aaaabeeeer

ich habe ja gar keine behauptung aufgestellt, sondern fragen gestellt

Aber das darf einem nicht kratzen, irgendwann muss man das Projekt zu Ende bringen und gut ist!

damit habe ich kein problem. ich kann gut abschliessen bzw. muss auch, ich habe selten zeit, um mich länger als in einem bestimmten zeitfenster um ein projekt zu kümmern.

es geht mir weniger um das abschliessen können oder um unsicherheit an der arbeit an sich. ich zweifle nicht unbedingt an meinern technischen fähigkeiten oder den mixes (die sind ja zum zeitpunkt des projektabschlusses von mir, der band und dem masteringmenschen abgesegenet und als gut befunden worden), aber eben manchmal an unserer fähigkeit, gehörtes einzuschätzen. und vor allem finde ich es dadurch manchmal schwierig die lehren für weitere projekte daraus zu ziehen.

 

[User70408]

mit aaabeeer bezog ich mich jetzt nicht auf eine von dir nicht gestellten Behauptung ... cooler Satz gell

Ich hab versucht mich auf die Gefühlswelt, von wahrscheinlich uns allen, zu beziehen.

Denn im Endeffekt geht es ja uns allen so.
Ist einmal genug Abstand zum Mix, hört man ihn plötzlich ganz anders und würde da und dort gerne nochmal ...

 

[XCapt]

Denke es ist wie als ob man sich gerade frisch von der Partnerinn getrennt hat

Auch da gibt es danach die verschiedensten Phasen.....-)

Ist halt der innere und vielelicht unbewusste Abschluss

 

[SOS]

Ist einmal genug Abstand zum Mix, hört man ihn plötzlich ganz anders und würde da und dort gerne nochmal ...

das ist der natürliche ehrgeiz, sich verbessern zu wollen, das ist klar... es kann aber auch gegenteilig sein, kurz nach abschluss ist man vielleicht etwas unzufrieden, ein halbes jahr später beim zufällig hören, findet man es wieder geil und würde nichts mehr ändern wollen... das phänomen gibt es offensichtlich in beide richtungen. deshalb ist es wohl so schwierig, die eigene arbeit zu beurteilen.

 

[Dimitrirec]

Ich hab das ähnlich, bin auch immer am Ringen mit mir...einmal find ichs richtig toll und werde schon fast euphorisch, dann können aber auch schnell wieder Zweifel aufkommen.
Stetig den Workflow verbessern, Monitore, Raumakustik optimiert und es wird stetig etwas besser. Momentan fahre ich ziemlich gut wenn ich zu Beginn konsequent auf den alten Auratones mische, bis ich auf den Quakern ein solider Mix habe, danach die restlichen 30% auf Fullrange.
Braucht etwas Eingewöhnung aber funktioniert bei mir.
Der Prozess wird sich wahrscheinlich ein leben lang weiterentwickeln. Da müssen alle durch!

Vom zeitlichen Aspekt versuche ich das auch relativ zügig durchzuziehen, X-Mal neu dransetzen
wird bei mir nicht besser...

 

[schnuffke]

Ich hab das ähnlich, bin auch immer am Ringen mit mir...einmal find ichs richtig toll und werde schon fast euphorisch, dann können aber auch schnell wieder Zweifel aufkommen.

Ich glaube, das sollte man vermeiden - euphorisch zu werden. Am effektivsten dürfte es sein mit Abstand und "emotionslos" zu arbeiten.

Beim Mucke machen, geht mir das zumindest so. Einfach abschätzen, ob etwas gut ist oder nicht - sich aber nicht hineinziehen lassen. Kreative Prozesse die nicht in Echtzeit ablaufen, sollten mMn anders behandelt werden als z.B. eine Livesession.

Ich glaube, wenn man zu emotional arbeitet, kann man keinen richtigen Flow entwickeln.

 

[AWF]

Ich kenne es auch aus dem Kino. Schau im Kino einen Film an und denke "wow"...irgendwann auf DVD/BluRay....mehr ein "Hmmmmmm" wie "wow".

Beim Mischen kam dieser Effekt immer durch eine Sache zustande:

Lautstärke.

Beim HOFA Mix versuche ich erstmals immer die selbe Lautstärke zu fahren, denn davon hängt bei mir wohl einiges ab.

Ich denke deshalb gefällt mir auch ein Film im Kino besser.

Nun habe ich meinen Regler markiert. Immer die selbe Lautstärke.

Mit HOFA Blindtest habe ich eine weitere gute Hilfe gefunden.

 

[ModulationMatrix]

@SOS: Geht mir genauso!!

Und ja, die jeweilige Abhörlautstärke ist auch ein wichtiger Faktor dabei, aber längst nicht der einzige

 

[SOS]

Ich glaube, wenn man zu emotional arbeitet, kann man keinen richtigen Flow entwickeln.

ich glaube, wenn man mit zu wenig emotional arbeitet, kann man keinen guten mix entwickeln.

aber ja, das ist wohl einer der punkte. solange man daran arbeitet ist man automatisch emotional mit der sache verbunden, 6 monate später beim zufälligen hören weniger.

Lautstärke.

ja, kann auch sein, aber ich achte da immer penibel darauf, habe meinen referenzpegel auf der abhöre und mache sehr viel a/b-ing. daran liegt's bei mir eher nicht.

 

[AWF]

referenzpegel

Vielleicht stimmt der Pegel in % nicht immer

 

[SOS]

das phänomen des "andershörens" tritt z.b. auch beim a/b-ing auf. ich komme ins studio mache als erstes den a/b vergleich. «geil, mein mix klingt ziemlich gleichwertig» am nächsten tag dasselbe szenario (nicht daran gearbeitet!): «hm, das passt noch nicht ganz»... i mean dafuq?

ich gebe meinen mix erst ab, wenn ich sagen kann, ja es ist ungefähr gleichwertig mit der referenz, die ich als vorlage vom kunden bekommen habe, logisch... aber manchmals ist es heute gleichwertig und morgen eben nicht mehr...

...und nein, mit meiner abhöre ist alles i.o. und ich bin soweit gesund obenrum, ich höre ab und zu stimmen beim fahrrad fahren aber sonst ist alles cool

ps:

Vielleicht stimmt der Pegel in % nicht immer Lachen

ich trinke auch immer ausreichend bier!

 

[schnuffke]

ich gebe meinen mix erst ab, wenn ich sagen kann, ja es ist ungefähr gleichwertig mit der referenz, die ich als vorlage vom kunden bekommen habe, logisch... aber manchmals ist es heute gleichwertig und morgen eben nicht mehr...

Ist ja nur so´ne Theorie von mir, aber einmal probiere ich es noch

:

Kann es nicht sein, dass man beim Mixen an einem Tag "euphorisch" wird und am nächsten Tag einfach nicht dazu in der Lage ist? Man ist vllt. einfach generell schlechter drauf. Geht mir so, wenn ich nicht gut geschlafen hab´ - dann finde ich alles schrecklich. Man erinnert sich aber, dass man gestern noch voll drauf abgegangen ist, was einem nun fehlt.

Also dadurch, dass einem das Hochgefühl fehlt, ordnet man den Track schlechter ein, als es vllt. nötig wäre.

Bier trinken und Rad fahren haben ziemlich sicher solche Auswirkungen. Ich glaube aber in einem gewissen Rahmen ist das normal so.

P.S.

Ich quatsch hier nur ´rum - hab keine Ahnung vom Mixen.

 

[RefinedRough]

wer kennt das phänomen? wie geht ihr damit um?

Jau, wer kennt das nicht. Was mir hilft ist Struktur:

- Nicht blind anfangen zu Mischen, sonders erst alles im Kopf durchspielen
- Den Rough-Mix möglichst in einem Zug durchziehen, also Levels & grob EQen, noch keine Details machen
- nächster Tag Rough überarbeiten und dann erst sounds veredeln
- Immer wieder ein bisschen gute Musik hören zwischendurch für nen Reset
- Finale Levels nur noch auf Behritones Grottboxen, Musik hören auf Grottboxen
- Bier trinken
- Abschliessen und gut sein lassen

 

[karumba]

die zeiten die man braucht um abstand zu bekommen verkürzen sich mit steigender erfahrung immer mehr. ich bin mittlerweile an einem punkt wo ich meine mixe nach wochen hören kann und nichts daran anders machen würde. mixe die ich hingegen vor 3-4 jahren gemacht habe würde ich heute aber sicher etwas anders machen.

beim mischen sind die ersten 1-2 stunden bei mir völlig normal, aber irgendwo zwischen stunde 2 und 3 ist bei mir jedes mal ein momentan da ala "das wird nie so wie ich das im kopf skizziert habe". je-des-mal! irgendwann so nach stunde 3 habe ich es dann aber doch geschafft & ich bin bei etwa 90%. für die letzten 10% brauche ich dann meist nochmal 2-3h.

 

[holgi]

Super Thema, dazu kann ich ganz viel schreiben

Ich bin mir meiner Dinge nie sicher, oder besser, im Nachhinein. Wenn ich etwas mache ist es im Augenblick meist absolut richtig für mein Empfinden, das ändert sich jedoch häufig mit der Zeit, und je mehr Zeit verstreicht, um so fremder wird mir mein Werk.

Das muss aber nicht so sein, ab und an höre ich Songs die ich Jahre nicht mehr bearbeitet habe und finde rundherum alles gut.

Das Problem dabei ist, das es keine Regel ist, das wäre ja einfach wenn man einen Pflock einschlagen könnte und alles andere daran bemisst.

Nach so vielen Jahren die ich nun schon Musik mache weiss ich letztlich, das dieses Thema für mich nie abgeschlossen sein wird, und ich denke damit bin ich nicht alleine

 

[verflixte13]

wer kennt das phänomen? wie geht ihr damit um?

@SOS
ich denke auch, dass dieses phänomen völlig normal ist ...
und ich vermute, dass es auch oftmals mit einer zu speziellen
fokussierung zu tun hat ...

parallelbeispiel: ...
(ich hoffe, dass du das direkt zu deiner frage übersetzen kannst/willst ...)

du malst z.b. DEN perfekten himmel ...
und beendest zufrieden deine arbeit ...

am nächsten tag siehst du erst, dass er nicht
zur restlichen landschaft passt ... daraufhin arbeitest du
in den nächsten tagen intensiv daran, die landschaft
an den "perfekten" himmel anzupassen ...

dies gelingt und du bist wieder zufrieden ...

tage später, da wird dir bewusst, dass die figur, in dieser
nun perfekten landschaft, unter dem perfekten himmel,
überhaupt nicht zum bild passt ... und nun beackerst du die
figur solange, bis sie mit der landschaft verschmilzt ...

dies gelingt und du bist nun endgültig zufriedengestellt.

tja, aber nach einigen jahren triffst du dein bild wieder,
in einer öffentlich zugänglichen sammlung und hier liegt
die figur zwar immer noch optimal verschmolzen in dieser landschaft, aber -->

dieser ursprünglich perfekte himmel, der stellt sich nun
plötzlich als unhaltbar heraus, weil er einfach nicht
zu der figur in dieser landschaft passt ...

*will sagen ... es gibt für mich mittlerweile keine endgültige
"vollendung" mehr, sondern, nur noch das beste, das ich zu
einem bestimmten zeitpunkt/lebensabschnitt liefern kann ...
und dazu kann/muss ich auch jahre später stehen.

und die einzige lehre, die ich in puncto "frust" "euphorie" und "ernüchterung"
gezogen habe --> dass diese existentiell notwendig sind,
um sich zu entwickeln ... und so gesehen -->

sei doch froh, dass du das "bewusst" durchleben kannst ...
denn wen die götter lieben, den strafen sie eben besonders hart ... LG

p.s.
im laufe der jahre werden diese "fehler"/schwankungen
ja immer weniger, weil die erfahrungen ja stetig gewachsen sind ...

aber, ganz aufhören, sollte diese "unruhe" nie, sonst ist es eben
nur noch ein handwerk ... das sich selbstzufrieden reproduziert ...

 

[holgi]

Vielleicht ist Kunst zu schaffen ja der Versuch, etwas Unumstössliches/Wahres zu installieren.

Und man scheitert fast immer daran, selbst die grössten Geister denken sicherlich so, das eine oder andere Kunstwerk welches wir heute betrachten/hören scheint perfekt, hat aber sicherlich unzählige weniger perfekte Vorgänger.

 

[verflixte13]

Vielleicht ist Kunst zu schaffen ja der Versuch, etwas Unumstössliches/Wahres zu installieren.

Und man scheitert fast immer daran, selbst die grössten Geister denken sicherlich so, das eine oder andere Kunstwerk welches wir heute betrachten/hören scheint perfekt, hat aber sicherlich unzählige weniger perfekte Vorgänger.

.. das empfinde ich auch so!
ich denke zwar nicht, dass es eine unumstössliche wahrheit gibt,
sondern, nur wahrheiten, die sich in einer bestimmten zeit/einem bestimmten
kontext, als richtig erwiesen haben ... aber, das ist und bleibt alles im fluss
und kann/und muss sich auch verändern ...

genau genommen, da könnte man die kulturgeschichte nicht nur als
versuchte "wahrheits-kette" interpretieren, sondern -->
auch als hinterlassene Irrtümer ... ihrer eigenen zeit ...

letzte woche erst, um den bogen wieder auf das mixen zu biegen,
da hat mir ein freund die dritte doppelscheibe der Anthology-reihe,
von den Beatles, geschenkt ...

also da kommt man aus de staunen nicht mehr heraus ...

manch´ echte perle liegt da verborgen, obwohl die songs
noch nicht wirklich zu ende produziert/gemischt wurden ...
und alles ziemlich pur/roh/unfertig über die monis tropft ...

aber, ein gedanke stellt sich doch ein --> warum berührt mich
das "heute" zum teil mehr, als die fertigen versionen? ...
mit dem wissen --> dass mich das vor 20 jahren völlig kalt gelassen hätte?

*will sagen ... "vielleicht" passiert so etwas ähnliches auch mit
den eigenen sachen!? ... und ein bild/ein song/ein mix, das man
heute für gescheitert hält, bekommt erst über die jahre "recht" ...

man war eben selbst noch nicht so weit, um wirklich zu verstehen,
was man da gemacht hat ... das wäre doch auch eine "hoffnungsvolle"
interpretation ... LG