Hamburger Hallig

[Gel Mitglied 86343]

Grönemeyers erste Hits waren "Currywurst", "Musik, nur wenn sie laut ist", ""Bochum", " Alkohohl", "Männer", "Kinder an die Macht" ... und in Sachen Liebe fällt mir zum Anfang seiner Kariere auf Anhieb nur "Flugzeuge im Bauch" ein.
Udo Jürgens startete zwar mit Liebesongs wie "Siebzehn Jahr" oder "Merci", aber seine größten Erfolge waren vermutlich "Griechischer Wein", "Aber bitte mit Sahne", "Das ehrenwerte Haus" oder " Ich war noch niemals in New York".

Schon, aber wäre ein Song über eines dieser Themen auch heute erfolgreich?

Selbst "Atemlos" beziehe ich eher auf nächtliches Großstadtfeeling statt einer Liebesnacht. -
Oder nimm den aktuellen, kommerziellen Erfolg von Rap und Hiphop. Liebe ist da fast ausgeblendet.

Hier zeigt sich das Image einer Frau oder eines Jugendlichen, wie es in den Medien transportiert wird.
Die Identifikation mit diesen allgemeinen Vorbildern stimmt mit anerkannten Verhaltensweisen und der Ausrichtungen der Hörerinnen und Hörer überein. Ich frage mich: Wer macht die Bilder, denen ich entsprechen will und warum jage ich ihnen nach?

Egal ob mein Text gefällt, er wird hoffentlich als typischer Artname-Text wahrgenommen.

Davon bin ich überzeugt. Mich begeistert bei Deinen Essays auch die Synthese der unterschiedlichsten Bereiche mit dem Ziel, einen qualitätsvollen Songtext zu erschaffen.

 

[artname]

Lieber malles,

Schon, aber wäre ein Song über eines dieser Themen auch heute erfolgreich?

Was sind denn für dich "diese Themen"? "Bochum" und "Currywurst" stehen für "Heimat".... na das ist ja wohl extrem aktuell. so was wie "Männer" könnte heute durchaus einer Metoo-Dichterin unter dem Thema "Gleichberechtigung" einfallen ... Das Thema "Drogen" ist sowieso zeitlos. Der ironische Umgang mit dem Thema "Macht" ebenfalls.

Aber wie gesagt: Du überschätzt das Thema, gehst nicht auf Rhema ein und unterschätzt den Faktor originelle Attitüde. Besonders DIE unterschätzt du mMn. Ich weise nur mal aktuell auf BALBINA hin.

Ich frage mich: Wer macht die Bilder, denen ich entsprechen will und warum jage ich ihnen nach?

Ehrlich, das fragst du dich wirklich?! .... DU machst diese Bilder. Du allein.

Mich beispielsweise interessieren Klischees nur, um sie zu vermeiden. Alle mir bekannten Texte machen nur einen unendlich kleinen Bruchteil meiner eigenen Erfahrungen aus. Ich brauche weder Internet noch Massenmedien, um unentwegt aktuelle Texte zu schreiben. Aktuelle Texte - für mich jedenfalls v. Und mit etwas Glück... empfiehlt mich jemand jemandem.. der mich jemandem weiterempfiehlt....der mich ebenfalls weiterempfiehlt....Die Entwicklung Kunst ist eine Summe unvermeidbarer Fehler.

Davon bin ich überzeugt. Mich begeistert bei Deinen Essays auch die Synthese der unterschiedlichsten Bereiche...

Sag ich doch und vielen Dank.

 

[Gel Mitglied 86343]

"Heimat".... na das ist ja wohl extrem aktuell. so was wie "Männer" könnte heute durchaus einer Metoo-Dichterin unter dem Thema "Gleichberechtigung" einfallen ... Das Thema "Drogen" ist sowieso zeitlos. Der ironische Umgang mit dem Thema "Macht" ebenfalls.

Aber wie gesagt: Du überschätzt das Thema, gehst nicht auf Rhema ein und unterschätzt den Faktor originelle Attitüde. Besonders DIE unterschätzt du mMn. Ich weise nur mal aktuell auf BALBINA hin.

Ehrlich, das fragst du dich wirklich?! .... DU machst diese Bilder. Du allein.

Es gibt Bilder, die auf alle Hörer von außen einwirken und Bilder, die der Autor selbst dazu gibt. Sinn der Rhetorik war eher: Inwiefern sind die allgemeinen und die eigenen Bilder kongruent und welche Song-Bilder sind ungewöhnlich, sprechen aber doch etwas an, was viele Menschen bewegt?

-Zu Balbina musste ich erst recherchieren. Ganz ehrlich: Deine Grundsätze von Metrik und Musik sehe ich da nur teilweise verwirklicht. Ed.: bei 'guten Tag' vlt. -Der Song gefällt mir auch.

Und was das Rema anbelangt, so ensteht es -wenn überhaupt- doch eher unwillkürlich und unbewusst.

lg

 

[artname]

Es gibt Bilder, die auf alle Hörer von außen einwirken und Bilder, die der Autor selbst dazu gibt.

Lieber malles, schon hier ruft deine Antwort bei mir viele Fragen auf. Bitte verstehe diese Fragen nicht als spitzfindig. Genau so denke ich über jedes Zeile, jedes Wort nach... wenn ich nicht gerade im flow bin.

1. Welches Bild ruft beispielsweise das Wort "Dach" in mir hervor? Welches bei dir? Welches bei "allen"?
2. Welches Bild ruft beispielsweise das Wort "Reet" in mir hervor? Welches bei dir?Welches bei "allen"?
3.Welches Bild ruft beispielsweise das Wort "First" in mir hervor? Welches bei dir? Welches bei "allen"?

weiter
4. Welches Bild ruft beispielsweise der Satz "Ich hab gestern auf dem Dach getanzt" in mir hervor? Welches bei dir ? Welches bei "allen"?
5. Welches Bild ruft beispielsweise der Satz "Ich hab gestern auf dem Dachfirst getanzt" in mir hervor? Welches bei dir? Welches bei "allen"?
6. Welches Bild ruft beispielsweise der Satz "Ich hab gestern auf dem Dachfirst der Welt getanzt" in mir hervor? Welches bei dir? Welches bei "allen"?

weiter

7. Was verstehst du unter "einwirken"?
8. Was unter Bildern, die ein Autor "dazu gibt"?

Sinn der Rhetorik war eher: Inwiefern sind die allgemeinen und die eigenen Bilder kongruent und welche Song-Bilder sind ungewöhnlich, sprechen aber doch etwas an, was viele Menschen bewegt

?

Gestern habe ich diesen Text einem Sänger gezeigt, mit dem ich momentan intensiv arbeite. Er war extrem begeistert. Und begann zu erzählen: wie er als Kind morgens 45 Minuten zur Schule lief, statt den Bus zu benutzen. Wie er die die Bäume berührte , mit ihnen sprach, auf ihnen herum kletterte.

So stimmte er sich (mit seinen Worten) auf die tägliche Begegnung mit dem Schulstress ein. Er brauchte die Stärkung seines Ich-Gefühls, welches ihm während des Unterrichts stets zu entgleiten drohte. Gern beobachtete er während des Unterrichts durchs Fenster die Vögel, das Spiel des Windes, die Spuren der Flugzeuge am Himmel..Mein Sängerkollege fühlte sich allein durch die Art meines Textes an diese Zeit erinnert und sich deshalb von mir verstanden.

Und ich erkannte mich in seinen Schilderungen ebenfalls wieder. Erinnerte mich an Gedichte von Jaques Prevert, der mich in meiner Jugendzeit stark prägte, ähnliche Assoziationen textete.... ! Selbst jetzt, beim Schreiben, berührt mich wieder dieses Gefühl tiefer Vertrautheit.

Wenn der Text nun noch den Produzenten überzeugt könnte... hm... der ist aber Gottseidank auch der Komponist des Projektes... also falls er Zweifel an der Transparenz des Textes hätte, aber von formalen Aspekten des Songs inspiriert würden, wäre in einigen Wochen vielleicht ein musikalisches Baby auf der Welt, von dem ich nur eins weiß: ICH würde es lieben.
Vielleicht überträgt sich dieses Gefühl auch auf andere... vielleicht sogar viele...

-Zu Balbina musste ich erst recherchieren. Ganz ehrlich: Deine Grundsätze von Metrik und Musik sehe ich da nur teilweise verwirklicht. Ed.: bei 'guten Tag' vlt. -Der Song gefällt mir auch.

-Balbina hat momentan Erfolg mit Texten, die extrem individuell wirken.
- welche Grundsätze zur Metrik meinst du denn?

Und was das Rema anbelangt, so ensteht es -wenn überhaupt- doch eher unwillkürlich und unbewusst.

Das Rhema ist das (gefühlt) Neue am Thema. Ich finde das Rhema für mich durch ein Ausschlußverfahren: Einfälle minus vermutlich allgemein bekannten Gedanken gleich eigenes Rhema.

 

[Gel Mitglied 86343]

7. Was verstehst du unter "einwirken"?
8. Was unter Bildern, die ein Autor "dazu gibt"?

Was ist Alltagsdenken und wie kann es der Autor definieren und erweitern, um das Wohlergehen des Individuums ins Blickfeld zu rücken.

Neulich hörte ich z.B. einen Songtext, in dem der Autor sich ein ganz normales Leben wünschte, welches er aber nicht erreichen konnte. Als Konsequenz daraus kam er von seinem idealen Weg ab.

Obwohl Musikstil und Formulierung meiner Vorstellung nur anssatzweise entsprachen, konnte ich mich mit dem Inhalt genau identifizieren.

Davon braucht es mehr in der Musikwelt. Stattdesen werden gesellschaftliche Zusammenhänge missachtet und Loblieder auf Allgemeinplätze gesungen. (An Tagen wie diesen.)

Für Balbina nehme ich das Beispiel ' die Regenwolke': Wunderschöner Text, der aber mit keiner Musik harmoniert. Ihr Song 'der gute Tag' schafft das wiederum spielend. Ein guter Songtext unterstützt die Musik und belebt sie; größtenteils sogar unabhängig von Stil und Tempo.

Das Rhema ist das (gefühlt) Neue am Thema. Ich finde das Rhema für mich durch ein Ausschlußverfahren: Einfälle minus vermutlich allgemein bekannten Gedanken gleich eigenes Rhema.

Eine sehr technische Herangehensweise, die ich aber für wertvoll halte.
Doch Poesie kann man nicht emulieren: In welcher losen Beziehung würde das zu den Menschen bzw. Hörern stehen?

'Das Gesicht der Kellnerin und graue Augen, ferne Sterne, die viel zu jung sind, um schon zu verglühen' drücken hingegen tiefe Leidenschaft und Liebe für das Menschenleben aus.
Davon bin ich dann sofort begeistert. Genau wie von 'Der gute Tag', der sich schon nach zweimaligen Hören zu meinem Ohrwurm entwickelt hat.

 

[artname]

Lieber @ malles , mich hätten auch die Antworten zu 1-6 interessiert. Ich glaube, dass kein Meinsch jemals das selbe Dach imaginiert. Vermutlich noch nichtmal das gleiche. Noch nicht mal annähernd das gleiche. Vermutlich sieht der Einen beim "Tanz auf den Dach" ein Flachdach, der nächste ein Spitzdach, der nächste sieht den Tanz auf einem First. Am Abgrund.

.... und hier wird es für mich spannend. "Dach" isn gutes Reimwort, aber kein kein spannender Ort. "First" ist ein viel spannenderer Ort. Obwohl manche Leute noch nich mal das Wort verstehen. Wenn ein Text auf einer solch scharfen Klinge zu tanzen beginnt, dann werde ich heiß. Verstehst, was ich meine?

Du nennst ein solches Abwägen "sehr technisch". Kann man so sehen. Ich nenne es Imaginieren. Im idealen Falle ist der Texter der Regisseur seiner Kopffilme. Er bestimmt Besetzung, Kulisse, Beleuchtung, Requisiten, Musik.... Kameraeinstellung (Totale, Halbtotale, Nahaufnahme)....

Balbina geht mMn reflektiert ihren Weg. Schau dir mal ihre Interviews an. Vielleicht ist ihr Weg ein überzeugendes Beispiel dafür, dass Frauen auch im kreativen Bereich extrem individuell im Kommen sind. Ich wag es gar nicht, sie mit meinen männlichen Maßstäben zu bemessen. Ich hoffe, dass ich Gelegenheit bekomme, sie mal kennenzulernen. Ihre Songs wirkten sehr überlegt auf mich. Ich würde mich nicht wundern, wenn ihre Musik auch ein wenig bewußt cool, distanziert angelegt ist....

Poesie kann man nicht emulierten

Ok, deine Meinung. - Meine Meinung: Poesie ist etwas unnatürliches. Poesie ist ein menschliches Konstrukt. Poesie ist willkürlich nachgebaute Natur. Westernhagen schrieb raffiniert eine Hymne auf Dünne, indem er sich Strophe für Strophe über Dicke amüsierte,

 

[Gel Mitglied 86343]

.... und hier wird es für mich spannend. "Dach" isn gutes Reimwort, aber kein kein spannender Ort. "First" ist ein viel spannenderer Ort. Obwohl manche Leute noch nich mal das Wort verstehen. Wenn ein Text auf einer solch scharfen Klinge zu tanzen beginnt, dann werde ich heiß. Verstehst, was ich meine?

Es tut mir Leid. Ich will zwar gerne verstehen. Aber nicht viele Menschen kennen den Fachbegriff First überhaupt. Einem Hausbesitzer ist der Begriff durchaus geläufig. Einem normalen Mieter muss man den Begriff jedoch erklären. Oder Klingt -übertrieben gesagt- "Ich hing an der Attika." nach einer guten Zeile?

Lieber @ malles , mich hätten auch die Antworten zu 1-6 interessiert. Ich glaube, dass kein Meinsch jemals das selbe Dach imaginiert. Vermutlich noch nichtmal das gleiche. Noch nicht mal annähernd das gleiche. Vermutlich sieht der Einen beim "Tanz auf den Dach" ein Flachdach, der nächste ein Spitzdach, der nächste sieht den Tanz auf einem First. Am Abgrund.

Mit der Lupe betrachtet hast Du sicherlich Recht. Menschen funktionieren aber viel einfacher. Um dem gerecht zu werden, helfen schon grundlegende Begriffe aus den Anfängen der Entwicklung des menschlichen Bewusstseins, die jeder Mensch im Traum für die Verarbeitung des Erlebten gebraucht.

Du nennst ein solches Abwägen "sehr technisch". Kann man so sehen. Ich nenne es Imaginieren. Im idealen Falle ist der Texter der Regisseur seiner Kopffilme. Er bestimmt Besetzung, Kulisse, Beleuchtung, Requisiten, Musik.... Kameraeinstellung (Totale, Halbtotale, Nahaufnahme)....
Ok, deine Meinung. - Meine Meinung: Poesie ist etwas unnatürliches. Poesie ist ein menschliches Konstrukt. Poesie ist willkürlich nachgebaute Natur. Westernhagen schrieb raffiniert eine Hymne auf Dünne, indem er sich Strophe für Strophe über Dicke amüsierte,

Ja und Nein: Beim Imaginieren folge ich Dir wieder.
Doch Westernhagen stellte diejenigen bloß, die sich mit ihrer mehr oder weniger schlanken Figur über Dicke stellten.
Leider hatte diese zynische Übertreibung nur einen ungewollten Überschlag-Effekt. Das hängt aber mit der menschlichen Dummheit zusammen. Seine eigene Figur hat dazu wohl beigetragen. Ein dünner Hering hat es eben auch nicht leicht.

 

[artname]

Aber nicht viele Menschen kennen den Fachbegriff First überhaupt.

Eben! Deshalb hab ich ja gerade diesen selten gewordenen Begriff ins Gespräch gebracht. - Und eben auch kein Problem damit, "Austernfischer" in meinen Text zu nehmen. Oder den Titel Hamburger Hallig. Ich beispielsweise stutze bei veralteten Namen und google gern mal. und dieses Suchen reicht aus, mich näher mit dem Text zu verbinden. Ich weiß das Viele das nicht tun. Aber einige schon.

Ich verstehe andererseits nicht, wie Künstler authentisch empfunden werden wollen, ohne Teile ihres Lebens zu präsentieren. Eben die Teile, wo sie irgendwo "Gleichgesinnte" auf der Welt vermuten.
texten eben wollen

Leider hatte diese zynische Übertreibung {gemeint ist Text "Dicke"} nur einen ungewollten Überschlag-Effekt. Das hängt aber mit der menschlichen Dummheit zusammen. Seine eigene Figur hat dazu wohl beigetragen. Ein dünner Hering hat es eben auch nicht leicht.

Ich vermute, Westernhagen hatte beim Texten auch leichte Bedenken. Vielleicht hat ihm geholfen, dass er ja als Schauspieler "skrupellos" in die unterschiedlichsten Rollen schlüpfen muss. Ich kenne ne Menge Schauspieler, die sehr lebendige Songtexte schreiben.

 

[Gel Mitglied 86343]

Ich verstehe nicht, wie sich Künstler authentisch empfinden können, wenn sie nicht Wert darauf legen, Teile ihres Lebens zu präsentieren. Eben die Teile, wo sie irgendwo "Gleichgesinnte" auf der Welt vermuten.

dieser Aspekt macht Deine Texte für mich auch sehr reizvoll.
Abgeneigte Kollegen streben vielleicht eher wegen marktechnischen Gesichtspunkten nach den gut verdaulichen Worten.
Authenzität ist unschlagbar und natürlich. Auch, wenn Du Poesie in den Schatten stellst, aus Deinen Schriften klingt auch sie besonders schön heraus.
Westernhagen echauffierte sich ja gerade wegen der Verrohung. Ernst kann er das Schimpflied schon deshalb nicht gemeint haben.

 

[artname]

Danke, lieber @malles. Ich habe die letzten Wochen hart um meine Position kämpfen müssen. Produzenten neigen ja dazu, auf Topacts der unmittelbaren Gegenwart zu verweisen. Ich habe einem von ihnen aller 3 Tage einen aktuellen Text geschickt. Er hat sie immerhin ausgedruckt auf seinem Flügel gelegt. Nun hat ein Sänger ihn von dort auf die Notenablage gelegt und den Produzenten zur Studio-Session aufgefordert. Gerade bekomme ich eine begeisterte Mail. Betrifft: "Hamburger Hallig".

Es tut so gut, wenn man Freunde auf seinem Weg gewinnt...Ich hatte bereits begonnen, selber an dem Weg zu zweifeln.

 

[Gel Mitglied 86343]

Dass Du bei der Suche nach der Wahrheit nun die Klarheit gefunden hast, freut mich sehr für Dich.