Fluch der ICH Form

[SoulFrontier]

Ah, das klingt ja schon ganz anders als bei Deinem Ausgangspost wo noch von "Idioten, Kleingeistern, und depperten Fantasien" die Rede war. Dann ist ja alles gut.

Das wurde von Dir dann falsch interpretiert.
Ich weiß was ich kann und hab keinen Grund auf ein Publikum zu schimpfen.
Da ist bei mir alles super gut.

 

[SoulFrontier]

Mir fehlt es an Tiefe. Von 99 Prozent von dem was veröffentlicht wird. Da ist es egal, ob es um "ich", "ihr", "wir" oder niemandem geht.

Was mir fehlt ist Bedeutung. Mit Kontext.

Ab und zu sieht man etwas durchblitzen, das kein Business-Plan hat und nur für seiner selbst Willen gemacht wurde. Für kein Ego und keine Bankkonto.

Was Du mit Deinem Beitrag sagen willst verstehe ich nicht.
Wenn Dir das politische Lied das einzig Wahre ist dann wird sich doch wohl für Dich irgendwo ein politischer Liedermacher finden.
Ein Barde, der gegen das Böse in Gestalt des Kapitalismus ansingt.

Brüder zur Sonne zur Freiheit!
Proletarier aller Länder vereinigt Euch! Genossen, wir haben nichts zu verlieren als unsere Ketten!
Die Internationale erkämpft das Menschenrecht!
So in Etwa?

 

[nooob]

Wenn Dir das politische Lied das einzig Wahre ist dann wird sich doch wohl für Dich irgendwo ein politischer Liedermacher finden. Ein Barde, der gegen das Böse in Gestalt des Kapitalismus ansingt.

Was motiviert jemand, ein Musik-Stück zu schreiben / erstellen / aufzuführen / ... ?

1. Es soll unterhalten (andere oder sich selbst)
   
2. Es soll verkaufen (Kapital, Ideologie oder Ego / Macht)
   
3. (Es ist eine Art Therapie)
   
4. Es hat eine Botschaft

Ich wollte nur zum Ausdruck bringen, dass ich glaube, die meisten kulturellen Dinge werden bei uns aus Punkt 1 und Punkt 2 gemacht. Und das ist mir persönlich einfach zu wenig. Das Geheimnis des Lebens ist, dass wir sterblich sind und diese Vergänglichkeit ist unser Motor. Entweder wir stellen ihr uns (Reflektion, bewusstes Leben, "ein Mann, ein Wort",...) oder wir verdrängen es (Drogen, Ablenkung, Oberflächlichkeit).

Denn mein aktueller Song beschreibt eine schwierige Situation eines Paares. Der Text ist nicht einmal von mir. Und meine liebe Frau hat jetzt Angst (begründet) dass gewisse Leute daraus schließen dass ich mich von ihr trennen will.

Wenn jemand daraus etwas schließt, ist es sein Problem, nicht Deins.

Ein Beispiel zur Verdeutlichung meiner Aussage:
Auszug aus einem Interview mit Morgan Freeman (Süddeutsche Zeitung)
(Interviewerin, Freeman)

Was passiert, wenn ich »Nigger« zu Ihnen sage?
Nichts.

Warum nicht?
Was passiert, wenn ich »deutsche Dummkuh« zu Ihnen sage?

Nichts.
Warum nicht?

Ich fühle mich nicht angesprochen.
Sehen Sie, ich auch nicht.

Ist das der Trick, sich nicht angesprochen zu fühlen?
Wenn Sie mich »Nigger« nennen, haben Sie ein Problem, nicht ich, weil Sie das falsche Wort benutzen. Indem ich mich nicht angesprochen fühle, lasse ich Sie mit Ihrem Problem allein. Selbstverständlich gilt diese Taktik nicht, wenn Sie mich tätlich angreifen. Dann wehre ich mich, das verspreche ich Ihnen.

 

[Turquoise]

Musik wird in unserer Welt kaum noch als Sprachrohr verstanden.
Eher als Lifestyle.
(...)
Ich persönlich empfinde die aktuelle "Kulturbewegung" als Stillstand, als totale Leere.
Das Technik-Thema ist durch, die Styles sind durch. Es wurde alles gesagt.

Was mir fehlt ist Bedeutung. Mit Kontext.

Ich kann Dich da sehr gut verstehen. Besonders den ersten Satz im Zitat könnte ich mindestens fünf Mal unterstreichen.
Meiner Ansicht nach haben die sozialen Medien die ehemalige Funktion der Musik als Bedeutungsträger übernommen. Sehr schade, weil das Gesabbel in Netzwerken am Ende hohl und leer bleibt, während Musik immernoch etwas mit langer Nachwirkung ewesen ist.

Auch das in der aktuellen Musik der Tiefgang usw. fehlt sehe ich ähnlich. Ich habe für mich den Begriff "relevante Musik" gefunden. Es gibt keine relevante Musik mehr - Musik, die in einem breiteren Sinn gesellchaftlich was Wichtiges aussagt oder an einen wunden Punkt rührt.

Das letzte Mal war das vielleicht mit Nirvana der Fall. Da wurde Wut und Schmerz thematisiert, der aber nicht in Rebellion mündete (wie bei den Punks oder The Who) sondern in der radikalen Selbstzerstörung, weil man den Glauben an die Illusion einer Rebellion schon verloren hatte. Seitdem gab es nichts "Relevantes" mehr. Nur noch Abklatsch und Sparten- bzw. Szeneklischees.

Dabei wäre die Zeit doch prädestiniert für Musik mit Tiefgang und Relevanz. Wann war die Welt zuletzt dermaßen in Aufruhr? Kriege, geopolitische Neuordnung, Finanztotalitarismus, Krise der westlichen Demokratien und ihrer Kultur usw. Zuletzt gab es Ähnliches Ende der 1960er. Man könnte und müsste so viel beitragen als Musiker, Texter usw. Aber es kommt . . . nichts. Nur beredtes Schweigen im Walde und oberflächlicher 0815-Käse. Oder all die relevante Musik wird ausgeblendet, findet kein Medium mehr... Kann auch sein. Anyway - das ist schon - wie Du sagst - erschütternd.

 

[Rocky Balboa]

es gibt doch viel musik mit "inhalt", nur ist dies meist nicht im mainstream vertreten. da muss man halt woanders suchen.

 

[nooob]

es gibt doch viel musik mit "inhalt"

Über Beispiele freue ich mich.
Edit: Gerne auch aus anderen Bereichen der Kultur.

 

[nooob]

Das letzte Mal war das vielleicht mit Nirvana der Fall.

Das empfinde ich auch so. Nirvana = depressiv, Alice in Chains = melancholisch.

 

[Rocky Balboa]

es gibt doch viel musik mit "inhalt"

Über Beispiele freue ich mich.

das ist natürlich geschmackssache. besser ist, du suchst selber.

 

[nooob]

besser ist, du suchst selber.

Ok. Das Schöne an einer Empfehlung ist, dass die Möglichkeit besteht, etwas Neues ausserhalb seiner Wahrnehmungsblase zu entdecken.

 

[Rocky Balboa]

besser ist, du suchst selber.

Ok. Das Schöne an einer Empfehlung ist, dass die Möglichkeit besteht, etwas Neues ausserhalb seiner Wahrnehmungsblase zu entdecken.

ja stimmt, aber ich kenn dich doch gar nicht. ich hab keine ahnung auf was du stehst. aber guck doch mal hier rein: https://recording.de/threads/was-hoert-ihr-gerade-fred.97148/
vielleicht findest du dort was.

 

[nooob]

ja stimmt, aber ich kenn dich doch gar nicht.

Das ist ein Argument.

Allerdings würde mich ja interessieren, was Du gut findest, ungeachtet ob wir uns kennen und WARUM Du etwas gut findest.

Ich glaube, das ist ein Ansatz. Ich mach einen neuen Post wie "Was hört ihr gerade", aber man muss in 5 Sätzen sagen, warum das Stück / der Film / das Buch / ... relevant/interessant/gut ist.

Danke für die Impulse!
@Rocky Balboa @Turquoise

 

[nooob]

Der Vollständigkeit halber hier der Cross-Link
https://recording.de/threads/musik-film-empfehlung-mit-begruendung.232025/

 

[artname]

Im Laufe der Diskussion ist das Stichwort "doppelte Kontingenz" gefallen, Parsons und Luhmann lassen grüßen.
Das Dumme an diesem Begriffsverständnis ist, dass jemand an einer anderen Person immer nur deren Glaubwürdigkeit feststellen, aber sich ihrer nie wirklich sicher sein kann. Genau das bedeutet "Kontingenz". Und da diese Unsicherheit immer gegenseitig ist, handelt es sich um "doppelte Kontingenz". Wer als "authentisch" gelten will, kann seine Authentizität lediglich behaupten. Und wer das glauben WILL, kann es tun oder lassen.
Mein persönliches Bekenntnis: ich glaube nicht an Authentizität, sondern nur an Glaubwürdigkeit. Wenn ich jemandem Authentizität zuerkenne, ist es mein Akt des Vertrauens, also mein bewusster Entschluss, etwaige Zweifel nicht gelten zu lassen.

Lieber rho, ich glaube wie du, dass Vertrauen oder Misstrauen gegenüber Menschen oder Dingen (z. B. Texten) keine objektiven Ursachen abbilden, sondern zu 100% nur die eigene Fremdheit (Kontinenz) des Betrachters UND des Betrachteten (doppelte Kontinenz).

Wenn wir also (hier) einen Text für unglaubwürdig halten, sagen wir letztlich nur, dass uns dieser Text fremder erscheint als andere (hier). Nachträgliche Erklärungen helfen uns zwar, unser Fremdeln abzubauen, werden aber anschließend die Wirkung des Textes auf uns kaum umkehren! Eine neue Sicht zuzulassen braucht seine Zeit!

Und weil das so ist, schreibe ich die ersten Entwürfe am liebsten so, dass mein Text nur mir gefallen soll. Ich achte bei der Wortwahl ganz intensiv nur! auf mein inneres Echo. Das betrifft sowohl die Semantik und als auch den Wortklang.

Daneben lese ich täglich viele fremde Gedichte und Texte. Auch dabei achte ich extrem nur! auf mein inneres Echo. So erkenne ich, wo genau mir fremde Texte mehr Freude bereiten als mein eigener und entsprechend überarbeite ich. Auch Nachdichtungen helfen mir immens, einen optimalen inneren Wohlklang zu finden.

Negative Kritik ärgert auch mich, aber mache ich mir die naturgegebene Fremdheit zwischen Werk und Kritiker klar, verebbt das schnell wieder... und spornt mich zugleich an.

 

[Beeble]

Und meine liebe Frau hat jetzt Angst (begründet) dass gewisse Leute daraus schließen dass ich mich von ihr trennen will.

Also dieser Satz, so das die Aussage denn stimmt, sagt aus, das deine Frau fremdbestimmt ist.
Das ist kein Problem deiner Texte.
Was sind das für Ängste? Angst das Leute sich nicht so verhalten wie sie es gerne hätte?
Warum ist es schlimm für sie das andere denken ihr trennt euch weil du solche Texte schreibst?
Dann sind es Leute von denen sie sich bestimmen läßt weil sie deren Erwartungen erfüllen will.
Typisch: "das kann man doch nicht machen, was sollen denn die Leute denken?"
Selbstbestimmung und eigenverantwortliches Handeln lässt sich trainieren.

Interessant finde ich wie hier auf 4 Seiten gar nicht das Problem und dessen Ursache angesprochen wird, sondern der Fokus
auf die Künstler verschiedener Bereiche eingegangen wird. Eigentlich ganz schön weit weg vom Ursprungsproblem.

 

[artname]

Interessant finde ich wie hier auf 4 Seiten gar nicht das Problem und dessen Ursache angesprochen wird, sondern der Fokus auf die Künstler verschiedener Bereiche eingegangen wird. Eigentlich ganz schön weit weg vom Ursprungsproblem.

Wenn die Freundin eines Autors dessen Text sehr speziell interpretieren würde, wäre sie für mich vor allem Publikum. Und um Autor und Publikum drehen sich hier ne Menge Beiträge.

Ansonsten - was meinst du mit "fremdbestimmt"?

 

[SoulFrontier]

Dann sind es Leute von denen sie sich bestimmen läßt weil sie deren Erwartungen erfüllen will.
Typisch: "das kann man doch nicht machen, was sollen denn die Leute denken?"
Selbstbestimmung und eigenverantwortliches Handeln lässt sich trainieren.

Daneben. Meine Frau ist sehr selbstbewusst und tut nix um den Leuten zu gefallen.

 

[mWermut]

Hi @SoulFrontier,

dass es hier zu dem Missverständnis in Bezug auf deine Frau gekommen ist, liegt m.E. nicht an anderen, sondern eher an deiner Wortwahl..

Nun schreibst du..

Daneben. Meine Frau ist sehr selbstbewusst und tut nix um den Leuten zu gefallen.

..im Eingangs-Posting hörte sich das noch so an..

Und meine liebe Frau hat jetzt Angst (begründet) dass gewisse Leute daraus schließen dass ich mich von ihr trennen will.

OK, ich nehme an, das sollte nicht vordringlich deine Frau charakterisieren, sondern war ein Aufhänger für die interessante Frage, inwieweit man dem Bild, dass der Zuhörer sich von den Protagonisten der Songs macht, entgehen kann.

Ich denke, dass dies nicht dein Problem sein kann, was Zuhörer sich ausmalen. Also schreib über Klepto- und Pyromanie, über die Lust sich vorzustellen man wäre 30 Jahre jünger und über schwierige Phasen einer Beziehung..

..gerade beim Thema Trennung gib est eine Reihe von Autoren, die dies in wunderbaren, of schmerzvollen Songs verarbeitet haben. Diese Songs bleiben. Ganz unabhängig davon, ob sie einen aktuellen persönlichen Bezug haben oder nicht..

Viele Grüße, m

 

[artname]

dass es hier zu dem Missverständnis in Bezug auf deine Frau gekommen ist, liegt m.E. nicht an anderen, sondern eher an deiner Wortwahl..

Aus deiner Sicht mag das so sein. Aus meiner nicht. Soulfrontier schrieb doch, dass er die Bedenken seiner Frau akzeptiert.

Ich denke, dass dies nicht dein Problem sein kann, was Zuhörer sich ausmalen.

Hm... ich halte dagegen, dass jeder Mensch permanent mit (s)einer Unsicherheit ringt. Wie sollte man auch ständig wie ein Fels in der Brandung stehen, wenn man nicht ausblenden kann, dass man als Asche endet.

Ich meine sogar, es ist dem Hirn unmöglich, die Erwartungen anderer Menschen auszublenden! Das ist für mich ein Naturgesetz! Du selber erhöhst übrigens diesen Druck auf unseren TE schon im nächsten Satz:

Also schreib über Klepto- und Pyromanie, über die Lust sich vorzustellen man wäre 30 Jahre jünger und über schwierige Phasen einer Beziehung..

..gerade beim Thema Trennung gib est eine Reihe von Autoren, die dies in wunderbaren, of schmerzvollen Songs verarbeitet haben. Diese Songs bleiben. Ganz unabhängig davon, ob sie einen aktuellen persönlichen Bezug haben oder nicht..

Aus meiner Sicht schlägst du hier Soulfrontier vor, sich an fremden Autoren ein Beispiel zu nehmen. Das teile ich. Und er wahrscheinlich auch. Aber Vorbilder bedeutet zugleich, sich (vermutlich unsichert) mit fremdem Erwartungen zu beschäftigen. Von diesem Schritt bis hin zu der Vorstellung, das Vorbild könnte als Zuhörer im Publikum sitzen, ist kein weiter Weg mehr....

 

[Beeble]

Daneben. Meine Frau ist sehr selbstbewusst und tut nix um den Leuten zu gefallen.

Dann hat sie aber keine "Angst" vor den Gedanken fremder Menschen
Etwas unglücklich formuliert.

Ansonsten - was meinst du mit "fremdbestimmt"?

genau das was du in deinem letzten Postimg geschrieben hast:

Hm... ich halte dagegen, dass jeder Mensch permanent mit (s)einer Unsicherheit ringt. Wie sollte man auch ständig wie ein Fels in der Brandung stehen, wenn man nicht ausblenden kann, dass man als Asche endet.

Ich meine sogar, es ist unmöglich, die Erwartungen anderer Menschen auszublenden! Das ist für mich ein Naturgesetz!

 

[artname]

Hallo Beeble, zwischen den Gesetzen kognitiver Wahrnehmung, also beispielsweise der Unmöglichkeit, formulierte fremde Kritik gänzlich auszublenden und der Aussage, jemand "sei" fernbestimmt, liegt ja wohl noch ein ziemlich weites Land, Oder?

Der Textprozess ähnelt mE jeder anderen Art von Training. Je mehr ich eine gewünschte Unabhängigkeit trainiere, umso mehr richtet sich das Gehirn darauf ein. entwickelt entsprechende Nervenbahnen. Man muss eben nur wissen, was man wie trainieren sollte. Darüber schreibt hier kaum jemand. Leider!