3-Meter-Flügel
Größe kann auch viel Schönheit beinhalten. So auch bei großen Instrumenten. Galaxy Instruments hat neben Libraries wie Thrill, Vocal Colours oder Rise & Hit vor allem viele Tasteninstrumente im Repertoire. Und jedes davon hat einen eigenen Sound und eigene Funktionen. Meine Basis ist Grandeur, gefolgt von Noire. Für den intimen Sound nehme ich Una Corda und Piano Colours. Härter wird es mit Giant. Mal sehen, was Claire kann.
Die Basis
Aufgenommen wurde ein 3 Meter langer Flügel. Welcher genau, bleibt Betriebsgeheimnis. Durch die Größe haben gerade die Bässe eine besondere Präsenz. Ein viertes Pedal reduziert die Hammerschlagdistanz, wodurch der Hammer weniger Weg hat und somit die Lautstärke verringert wird. Aufgenommen wurde mit mehreren Mikrofonen, um den Charakter später ändern zu können.
Bei der Aufnahme wurden keine Kompromisse gemacht. So entschied man sich für die Galaxy Studios in Belgien. Alle Räume sind voneinander entkoppelt und stehen auf Federn. Das sorgt dafür, dass Samples ohne Störgeräusche aufgenommen werden. Aus der Noire und Piano Colors Engine wurde auch Particles mit übernommen.
Die Library wird über Native Instruments vertrieben und nutzt somit auch Kontakt. Zum Einsatz kommt der kostenlose Kontakt 8 Player. Auf der Festplatte braucht die Library 27 GB.
Der Einsatz
Wie zu erwarten, gibt es nur ein Patch. Die verschiedenen Settings werden innerhalb des Instruments abgerufen – als Snapshot oder im Browser. Natürlich spiele ich das erste Setting an: Basic Claire. Der Klang ist unglaublich warm und der Bass sehr fett. Was auch am Sub-Bass liegen mag (dazu später mehr). Aber selbst, wenn ich den puren Bass höre, überzeugt dieser. Bevor ich in die Presets abtauche, spiele ich aber selbst am Instrument rum.
Der Klang lässt sich grob mit ‚Color‘ und ‚Dynamic‘ beeinflussen. Und hier stelle ich schon meinen ersten Irrtum fest. Beim ersten Anspielen dachte ich, der Flügel kann nur weich klingen. Weit gefehlt. Ich habe einfach nicht hart genug gespielt. Was bei einer gewichteten Tastatur echt schwierig sein kann. Drehe ich den Regler ‚Color‘ nach rechts, wird das Mapping verändert und sofort habe ich mehr Präsenz und eine harte Attack. ‚Dynamic‘ dagegen regelt, wie groß die spielbare Dynamik ist. Habe ich ‚Color‘ und ‚Dynamic‘ 100%, spiele ich einen sehr harten Flügel sehr dynamisch. Mit -100% ‚Dynamic‘ ist jede Taste gleichlaut. Stelle ich ‚Color‘ aber wieder auf 0%, ändere ich beim Spiel ausschließlich das Timbre. Das hat auch seinen Reiz und bietet Möglichkeiten, die beim echten Flügel schlicht nicht vorhanden sind.
Mit dem Blend-Fader kann ich zwischen den Mikrofonen überblenden und so die Perspektive wechseln. Das passiert nicht nur akustisch, sondern auch optisch im Kontakt-Player. Der Flügel wandert immer weiter nach hinten. Für das Raum-Mikrofon gibt es die Wahl zwischen ‚Mid‘ und ‚Far. ‚Mid‘ mit 3 Metern Entfernung klingt nur etwas räumlicher, ‚Far‘ mit 11 Metern Entfernung schon so, als ob Mikrofon und Flügel an jeweils anderen Ecken des Raumes stehen. Mir gefällt es, den echten Raum dazuzufahren und nicht mit Reverb zu arbeiten.
Durch die Entfernung der Mikrofone entsteht ein natürliches Pre-Delay. Die Raum-Mikrofone sind also erst später zu hören. Für den natürlich Klang und Tiefenstaffelung kann das wunderbar sein. Es kann bei schnellen Passagen oder beim Einspielen dafür sorgen, dass die Attack etwas verschwimmt. Zum Glück wurde hier mit ‚Delay Compensation‘ Abhilfe geschaffen, die von 0% bis 100% gestellt werden kann. Bei 0% bleibt das Pre-Delay, bei 100% erklingen ‚Close‘ und ‚Room‘ zur selben Zeit. Sehr schön mitgedacht.
Auch Reverb und Delay sind mit an Bord. Allerdings sind diese beiden Regler nur die Sends der beiden Effekte. Mehr Regler dazu gibt es im FX Menü.
Der Eingriff
Das Schöne bei Galaxy Instruments ist, dass man oft stark in den Charakter der Instrumente eingreifen kann.
Normalerweise werden beim Loslassen der Taste Release-Samples abgefeuert. Der Regler ‚Release‘ regelt, wie laut diese sind. Ich mag es, leise zu spielen und die Release-Samples mit +12 dB zu hören. Wer den Flügel knackiger spielen will, wählt ‚Time‘ und kann somit die Release-Zeit beeinflussen. Unrealistischer, aber geil!
Mit ‚Resonance‘ regen bei gedrücktem Sustain-Pedal gespielte Tasten auch andere Saiten an. Das sorgt für einen volleren Sound und nutze ich sehr gerne.
Das vierte Pedal reduziert die Entfernung der Hämmer zu den Saiten, was ein weicheres, leiseres Spiel ermöglicht. Hier kommen aber keine anderen Samples zum Einsatz, sondern die Dynamik wird etwas eingeschränkt. Der Hauptsinn ist aber nicht das bloße Aktivieren, sondern das Ansteuern dieser Funktion in Realtime per Pedal.
‚Overtones‘ fügt Obertöne hinzu. Allerdings nur dann, wenn ich mehrere Töne spiele. Wenn ich eine Taste spiele, kann diese eine Taste anregen, die vorher gedrückt wurde.
Die Geräusche können sehr intim klingen, andererseits auch stören. Daher ist es schön, dass ich die Lautstärke vom Pedal steuern kann. Aber da gibt es noch mehr Details. Es gibt nämlich insgesamt drei Pedal-Geräusche. Mit ‚Rumble‘ geht es um die Mechanik, also tiefe Geräusche. ‚Damper‘ ist das Geräusch im Flügel und nicht darunter. Und mit ‚Strings‘ hört man, wie die Saiten beim Loslassen leicht anfangen zu schwingen.
Für ‚Note On‘ und ‚Note Off‘ gibt es sogar einen Mix-Regler. Das ist sehr praktisch. Und für die Tastengeräusche, gibt es sogar einen LowCut. Damit kann der Flügel einen leichten Felt-Piano Charakter bekommen. Sehr schön.
Mehr Flügelsound gibt es im Bereich ‚Tone‘. Mit ‚Tonal Shift‘ wird die Abspielgeschwindigkeit verändert – und damit eigentlich auch die Tonhöhe. Diese wird aber nachträglich wieder angepasst, so dass sich nur der Charakter verändert. Das ist ein prima Sounddesign-Tool. Mit ‚Tonal Depth‘ werden noch mal Resonanzen hinzugefügt. Das hört man vor allem im Ausklang, der wesentlich länger ist. ‚Tonal Depth‘ auf volle Möhre, ‚Attack‘ auf lang gestellt, etwas Reverb und Delay und schon hat man ein schönes Pad.
Mit ‚Low Keys‘ können die Tasten unterhalb des mittleren Cs (C3) leiser oder lauter geregelt werden. Auf die Idee wäre ich nicht gekommen. Das ist vor allem dann toll, wenn ich leise spiele und ich gleichzeitig einen vollen Bass haben möchte. Eine vollen Bass kann man auch mit ‚Sub‘ erzeugen. Das Signal wurde mit einem extra Mikrofon aufgenommen und gibt noch mal richtig Schub. Das hat mir schon bei Noire gefallen.
Mit ‚Richness‘ werden harmonische Samples hinzugefügt. Damit klingt der Flügel noch brillanter.
Bei den ‚Attack Controls‘ gibt es die Auswahl zwischen fünf Attack-Samples:
- Wood
- Rof
- Pick
- Mallet
- Fet
Mit einem Klick kann so der ganze Flügel-Charakter verändert werden.
Die Gewürze
Effekte sind das Salz in der Suppe. Mit den mitgelieferten Werkzeugen wird nur etwas Salz hinzugefügt oder mit vielen Gewürzen entsteht ein anderes Instrument.
Im 4fach-Equalizer kann pro Band die Frequenz eingestellt werden. Sehr schön ist, dass der Equalizer sich nicht nur auf die Summe beziehen kann, sondern auch die Mikrofone Close und Far einzeln bearbeitet werden können.
Sogar die Transienten können betont werden. Attack runter, Release ganz kurz, Transienten nach links zur Attack schieben und schon hat man ein knackiges Piano, das nach Echo schreit.
Da der Compressor nur einen Regler hat, gibt es neun Presets, die verschiedene Settings für Ratio, Attack und Release bereithalten.
‚Saturation‘ geht von harter Verzerrung bis zur eiernden VHS Kassette.
Wem der Raum zu breit ist, der kann den Flügel mit ‚Stereo Image‘ kleiner gestalten – oder aufplustern. Bei ‚Style‘ gibt es fünf Effekt-Kategorien:
- LoFi (Bitcrusher, Freak Mod, Metalizer, Ringmodulator, Tape...)
- Modulation (Chorus, Flanger, Phaser, Robotic, Vibrato...)
- Moving (Tremolo, Rotator...)
- Timbre (30s Radio, Mid Punch, Telephone, Toy Speaker...)
- Mystique
Während man in den ersten Kategorien erahnen kann, was einen erwartet, bin ich bei ‚Mystique‘ zuerst ratlos. Dann wird aber klar, dass es sich hier um Impulsantworten handelt. Das Ergebnis ist aber kein simpler Hall, sondern interessante Texturen und Atmosphären, die Claire einen neuen Charakter verpassen. Das ist echt klasse.
Etwas mehr Realität bekommt man mit Geräuschen. Etwas Roomtone lässt das Ganze gleich weniger klinisch klingen. Auch der Pianist kann sich hier bemerkbar machen. Eine Funktion, die ich eher ausschalte.
Feen-Staub
Die Particles-Engine hat schon bei Noire und Piano-Color den besonderen Kick gegeben. Die Particles sorgen für Bewegung, etwas Glitzern, was weit über normale Arpeggios hinausgeht.
Die 17 Algorithmen sind eher eine Preset-Auswahl für die Parameter:
- Octave Range Low (wie viele Oktaven gehen die Particles runter)
- Octave Range High
- Tonal Shift Low
- Tonal Shift High
Wer nicht lange rumfrickeln möchte, hat mit den Presets einen guten Startpunkt.
Der kürzeste Abstand der Noten wird in Notenwerten mit ‚Density‘ eingestellt. Der größte Abstand dagegen ist ‚Variation‘. Für ein schönes Glitzern nehme ich so gerne ‚Density‘ mit 1/32 und Variation 1/4. Für einen ruhigen Sommerabend eher 1/4 und 1/1. ‚Decay‘ stellt ein, wie lange die Particles klingen. Das gefällt mir gut. Denn so kann ich wählen, ob es eine wirkliche Dauer-Wolke und nur einen kurzen glitzernden Ausklang gibt. Spannend wird es mit Split. Da werden nämlich Werte wie Panning, Velocity, Octave Range und Tonal Shift für jedes der beiden Signal A und B (da kommen wir gleich in den Sources drauf) getrennt moduliert werden und nicht nur die Summe. Das klingt noch mal wesentlich abwechslungsreicher.
Für jede der zwei Quellen kann man zwischen 18 Sounds jeweils bei Close und Hall wählen. Bei den Noises gibt es 13 Sounds.
Du willst die weiche Tour? Dann ziehe Attack hoch. ‚Cut‘ ist etwas missverständlich. Hier hätte ich einen Cutoff-Regler für ein Filter vermutet. Tatsächlich handelt es sich aber um die Decay-Zeit. Der Sound wird also kürzer gestaltet. Komisch ist – wenn der Regler links ist, ist die Decay-Zeit lang und rechts kurz. Bei der Attack ist es genau umgekehrt. Etwas verwirrend. ‚Dynamic‘ und ‚Timbre‘ ändern genau wie ‚Color‘ und ‚Dynamic‘ unten den Sounds und sorgen für mehr Lebendigkeit.
Die Particles wird mit eigenen Effekten verfeinert. Zuerst gibt es zwei Insert-Effekte aus den Kategorien:
- EQ (Air, Bite, De-Harsh, DeMud, Fat, Lowpass...)
- Drive (Fat Saturator, Hot Drive, VHS Copy, Warm Tape...)
- Dynamic (Punch, Soft Glue, Transient...)
- Modulation (Flange, Robotic, Rotator, Tape, Vibrato...)
- Utility (Stereo Spread, Volume Boost, Volume Reduction)
‚Diffusion‘ bietet ein breites Spektrum von Clean Tape über Diffusion und Warm Echo bis hin zu Large Hall. Somit kann ich den eigentlichen Flügel trocken halten, die Particles dagegen viel mehr färben. Prima!
Mit dem Regler oben rechts wird das Mischverhältnis zwischen Flügel und Particles eingestellt.
Ein Raum reicht nicht
Zum Träumen eigenen sich Reverb und Delay perfekt. Für den Hall gibt es ein Plate, algorithmischen Hall und einen Faltungshall. Dieser hat fünf Kategorien:
- Room
- Hall
- Vintage
- Mystique
- Piano
Spannend sind die letzten beiden Kategorien. ‚Mystique‘ hatte ich weiter oben schon angesprochen. Hier gibt es keinen Hall mehr, sondern spannende Texturen. Einige davon hätte ich mir gerne etwas lauter gewünscht, obwohl ich den Send schon voll aufgedreht hatte.
Das Delay bietet drei Effekte:
- Replika (Modern, Analogue, Tape, Vintage, Diffusion)
- Twin Delay
- Psyche Delay
Die Einstellmöglichkeiten lassen keine Wünsch offen. Lediglich einen Send vom Delay auf das Reverb hatte ich mir gewünscht. Das ist aber ein Luxuswunsch. Dafür kann man in jeder DAW ja einen Hall per Insert oder Send generell einsetzen.
Grundlagen
Die Settings erlauben zuerst das Ansteuern des vierten Pedals. Neben dem Tuning kann die Stimmung des Kammertons a’ von 436 Hz bis hin zu 444 Hz gestellt werden. Und für etwas Mystery-Stimmung sorgt ‚Detune‘. Selbst das Pitchbend ist integriert und bietet bis zu 12 Halbtöne. Auch das lädt zum Spielen ein.
Wenn Du zu viel Power für die lauten Töne brauchst, kannst Du die Empfindlichkeit an Dein Spiel anpassen. ‚Silent Key‘ sorgt sogar dafür, dass ganz leise Töne gar keinen Ton erzeugen, man aber noch die Mechanik hört. Wie bei einem echten Flügel. Wahnsinn!
Wer kein Frickler ist, kann sich aus den zahlreichen Presets bedienen und inspirieren lassen.
Claire Test im Video
View: https://youtu.be/t8LeE7H22aU?si=BNj8Eu58Cqs0Y2_6
Fazit
Claire bietet nicht einen Flügel, sondern hunderte. Das liegt an den vielen Editier-Möglichkeiten. Allein die Mikrofone ändern den Sound. Mehr Varianz gibt es mit den Parametern im ‚TONE‘ Menü. Und das gewisse Etwas steuern die Particles bei. Effekte können den Klang noch mehr verbiegen. Wer noch ein weiteres Piano haben möchte, denkt sicher nach. Aber wenn Du ein Instrument willst, das du wirklich gestalten kannst und auf deine Bedürfnisse anpassen kannst und einen besonderen einzigartigen inspirierenden Sound willst, bist Du hier richtig.
Anbieter: Native Instruments
Host: Kontakt 8 Player (kostenlos)
Preis: 149 €
