Fokus

[Florian Hoffmann]

Vorsatz fürs neue Jahr: Texten üben. Im Zweifelsfall auf Deutsch. Na denn...

Fokus​

Florian Hoffmann
Januar 2023


[Verse]
Grad wieder gelesen, dass wir’s nich’ mehr könn’n
‘Ne Minute am Ball bleib’n is’ uns schon zu viel
Wir wechseln so schnell, Angst die News zu verpenn’n -
[Bruch in der Musik, dann:] Ach, guck, da piept Insta, check mal eben den Reel…

[Verse]
Was wollt ich noch sagen? Hab den Faden verloren
So’n rotes Teil, lag doch eben noch rum?!
So viel Geniales, aus Langeweile geboren -
Oh, da kommt grad ‘n Tweet, wart’, ich schalt’ mal kurz um…

[Chorus]
Früher webte ich Netze aus wilden Ideen,
Tauchte Stunde um Stunde, tief in deinem Blick,
Hörte Stories zu Ende, statt in der Pause zu gehen,
War voll drin im Moment, lebte den Augenblick

[Verse]
Grad was Neues gelernt, über mentale Last,
Dass wir rödeln wie Server, unter Dauerbeschuss
Parallele Prozesse optimiert für die Hast -
Uuh, ‘n Popup vom Chat, wo ich reinschauen muss…

[Chorus]
Früher webte ich Netze aus wilden Ideen,
Tauchte Stunde um Stunde, tief in deinem Blick,
Hörte Stories zu Ende, statt in der Pause zu gehen,
War voll drin im Moment, lebte den Augenblick

[Bridge]
Aber halt, ist gelogen, war nicht alles so stark
Dieses endlose Warten, Infos selten und karg,
Träumte oft durch den Tag, hörte hin doch nicht zu
Hatt’ ich damals mehr Fokus? Mal ehrlich - sag du

[Chorus]
Früher knüpft’ ich auch Schlingen aus dummen Ideen
[Im Hintergrund: Früher webte ich Netze aus wilden Ideen,]
Manchmal schlug ich die Zeit tot, mit leerem Blick,
[Tauchte Stunde um Stunde, tief in deinem Blick,]
Dann wieder schien ich zu lauschen, doch war gedanklich am Geh’n
[Hörte Stories zu Ende, statt in der Pause zu gehen,]
Doch manchmal war ich voll drin, im Augenblick
[War voll drin im Moment, lebte den Augenblick]

 

[Teestunde]

Ich mag den Text. Ist etwas für die Kleinkunstbühne, auch wegen des bewegenden Schlusses. Ehrlichkeit sich selbst gegenüber ... Für ne Übung echt gelungen.

 

[Percy_Pösch]

Genialer Text. Da weiß jemand, was er tut.

Meine Gedankengänge dazu gingen so:

Umganssprachliche, fahrige Schreibweise. Man fliegt schnell darüber.
Im Chorus wechseln Vergangenheitsform und Sprache. Ahja, da war ja mehr Fokus, macht Sinn.

Du verwendest viele Worte, um wenig auszusagen. Hätte man da nicht noch viel mehr Gedanken einbringen können? Wenn ich über soziale Medien und die tägliche Informationsflut nachdenke, denke ich an viel Überflüssiges, sich ständig Wiederholendes, komme dann zur Überlegung über die Vor- und Nachteile des Informationszeitalters und komme dann wieder zu deinem Text zurück. Vielleicht war ja doch schon alles damit gesagt?

Da war doch ein rotes Teil. Hätte man das nicht zum Schluss noch mal aufgreifen sollen? Was ist mit dem roten Teil? Moment, noch mal Lesen....

Aaaah.... und zack! Da isser der rote Faden. Den hatte ich beim ersten, fahrigen Überfliegen übersehen. Fokus scharfgestellt. Genial.

 

[SoulFrontier]

Das Thema ist ja immer aktuell! Früher war alles anders... jaja.
Obwohl an sich schlüssig will der Text bei mir nicht zünden. Weiß nicht weshalb, aber irgendwie "kriegt" der mich nicht.
Liegt evtl auch an den ganzen Klammern? Also Form?

 

[Florian Hoffmann]

@Teestunde @Percy_Pösch @SoulFrontier Danke für euer Feedback! Schön zu hören, dass der Text zumindest einigermaßen funktioniert. @SoulFrontier Form wäre nicht so schlimm, die wäre ja in der Vertonung nicht hörbar. Klingt für mich aber eher, als wäre der Hook zu schwach. Ist auf jeden Fall ein guter Hinweis - danke!

 

[Percy_Pösch]

@Florian Hoffmann Ich bin mir nun nicht mehr sicher, ob du diesen Kniff, den ich so interessant an dem Text finde, bewusst herbeigeführt hast, ob er durch Zufall entstanden ist oder ob du überhaupt weißt was ich damit meine, darum erkläre ich es sicherheitshalber noch mal anders.

Für mich ist die Redewendung "den Faden verlieren" viel geläufiger als "den roten Faden verlieren" darum war mit der Zeile "Hab den Faden verloren" das Thema Faden abgeschlossen und es folgt danach etwas Neues.

"So’n rotes Teil, lag doch eben noch rum?!"

Das bringe ich beim ersten Lesen nicht mit dem Faden in Verbindung, sondern denke du suchst irgendein rotes Teil, was einfach nur deine Unkonzentriertheit unterstreichen soll. Später fällt mir dann auf, dass das rote Teil gar nicht mehr erwähnt wird, also gehe ich den Text noch mal langsam durch und erst dann fällt mir auf, dass der "rote Faden" damit gemeint ist. Als sollte ich bewusst anfangs nicht an den roten Faden denken, sondern es war so gewollt, dass ich später darüber stolpere, um mir quasi einen Spiegel vor Augen zu halten wie unaufmerksam ich doch eigentlich bin.

Es würde halt so gut zu dem Text passen wenn einem erst bei genauerer Betrachtung ein Licht aufgeht. Vor allem wenn es gesungen oder im Sprechgesang vorgetragen wird, kommt man noch viel weniger darauf, weil man noch weniger Zeit zum Nachdenken hat.

 

[mWermut]

als wäre der Hook zu schwach.

..

[Chorus]
Früher webte ich Netze aus wilden Ideen,
Tauchte Stunde um Stunde, tief in deinem Blick,
Hörte Stories zu Ende, statt in der Pause zu gehen,
War voll drin im Moment, lebte den Augenblick.

..um den Chorus catchiger zu bekommen, könntest du versuchen knapper zu formulieren..eine Betonung auf der ersten Silbe wirkt oft kraftvoller als ein Auftakt..zudem wirkt die Vergangenheitsform evtl ‚verkopft‘..

..als Idee..

[Chorus]
Netze weben aus wilden Ideen
Storys zu Ende hörn, statt zu gehn
Stundenlang tauchen in deine Blicken
Ganz im Moment sein, jeden Augenblick

// ‚voll‘ ersetzt wg. Doppeldeutigkeit​

 

[Florian Hoffmann]

@Percy_Pösch Was du beschreibst ist genau das, was ich beabsichtigt hatte - von daher auch sofort verstanden, was du gemeint hast.

Genau, ich will hier "Faden verlieren" mit "rotem Faden" kombinieren, aber auf nicht ganz offensichtlich Weise ("Teil"), die dem Hörer/Leser erst beim wiederholten Hören oder Nachlesen klar wird. Ich will damit die Unkonzentriertheit / Abgelenktheit des Sängers hervorheben.

Das ist Teil meines Übungsprogramms, das ich mir vorgenommen hab. Ich will dieses Spiel mit Bildern und mehrdeutigen Anspielungen besser drauf zu kriegen. Das ist ein wesentlicher Teil von dem, was mir an guten Texten so gefällt. Hab mich deshalb super gefreut, als ich deinen Kommentar gelesen hab!

 

[Florian Hoffmann]

@mWermut Das sind gute Ideen. Präteritum passt nicht so super zum umgangssprachlichen Rest, das stimmt.

Ich denke, für einen Top Chorus fehlt einfach eine "Killer-Zeile". Der Vierzeiler funktioniert an sich, aber ist als Hook zu lang. Es müsste noch ein griffiger Einzeiler oder Zweizeiler drin sein, der es noch weiter konzentriert. Hooks schreiben - noch ein Teil meines Übungsprogramms, den ich noch nicht drauf hab.

 

[Percy_Pösch]

@Percy_Pösch Was du beschreibst ist genau das, was ich beabsichtigt hatte - von daher auch sofort verstanden, was du gemeint hast.

Genau, ich will hier "Faden verlieren" mit "rotem Faden" kombinieren, aber auf nicht ganz offensichtlich Weise ("Teil"), die dem Hörer/Leser erst beim wiederholten Hören oder Nachlesen klar wird. Ich will damit die Unkonzentriertheit / Abgelenktheit des Sängers hervorheben.

Das ist Teil meines Übungsprogramms, das ich mir vorgenommen hab. Ich will dieses Spiel mit Bildern und mehrdeutigen Anspielungen besser drauf zu kriegen. Das ist ein wesentlicher Teil von dem, was mir an guten Texten so gefällt. Hab mich deshalb super gefreut, als ich deinen Kommentar gelesen hab!

Ja genial. Das ist Schreibkunst, die mich beeindruckt. Durch das kurze Break in der Musik (womit wahrscheinlich ein Moment Stille gemeint ist) gibst du dem Hörer sogar noch die Möglichkeit das Gehörte zu verdauen. Super.

 

[artname]

Es müsste noch ein griffiger Einzeiler oder Zweizeiler drin sein, der es noch weiter konzentriert. Hooks schreiben - noch ein Teil meines Übungsprogramms, den ich noch nicht drauf hab.

Du könntest vielleicht etwas mehr Vertrauen zu deinen ureigenen Assoziationen haben… Stell dir ganz einfach (!) vor, du seist Bob Dylan oder wenigstens sein Nachfolger…

 

[Andaraginga]

Für mich ist die Redewendung "den Faden verlieren" viel geläufiger als "den roten Faden verlieren" darum war mit der Zeile "Hab den Faden verloren" das Thema Faden abgeschlossen und es folgt danach etwas Neues.
"So’n rotes Teil, lag doch eben noch rum?!"

Genau genommen sind es zwei unterschiedliche Redewendungen:
* den Faden verlieren
* sich wie ein roter Faden durch etwas hindurchziehen

 

[Percy_Pösch]

Genau genommen sind es zwei unterschiedliche Redewendungen:
* den Faden verlieren
* sich wie ein roter Faden durch etwas hindurchziehen

Wenn ich nur "Faden" verwende, würde ich sagen "Ich habe den Faden verloren", wenn ich den "roten Faden" verwende, würde ich eher nach dem roten Faden suchen, also z.B. "Ich suche noch den roten Faden". Was hier ja wunderbar passt, nach dem roten Faden muss man im Text suchen.