dave, weil du dich beschwert hast, dass niemand auf den post geantwortet hat und ich mich angesprochen gefühlt habe, antworte ich mal drauf. ich hatte es nicht sofort getan, weil ich dir meine meinung nicht noch mehr aufs brot schmieren wollte.
Dave1978 schrieb:
Um es nochmal auf den Punkt zu bringen:
Ich denke, wenn man auf natürlichem Wege Zugang zur Musik gefunden hat - das heisst Talent, Interesse, Früherziehung...whatever - dann verbietet sich das voranstellen finanzieller Interessen von selbst.
die logik dahinter sehe ich nicht. man kann doch abends aus tiefster leidenschaft heraus musik machen, während man tagsüber bei siemens am fließband steht. warum kann man nicht abends aus tiefster leidenschaft heraus musik machen, während man tagsüber sprichwörtlich "musik produziert"?
außer einem "das ist halt so" konntest du mir darauf noch nichts antworten.
Der wild um sich greifende Kapitalismus ist für einen grossen, nicht davon profitierenden, oder profitieren wollenden Teil der Weltbevölkerung, in vielen anderen Lebensbereichen schon eine starke Einschränkung und bedingt Wertelosigkeit und Verflachung essentieller Bedürfnisse und Lebensinhalte.
ich behaupte mal, dass der kapitalismus damit ganz genau gar nichts zu tun hat. natürlich wird das kapitalistische system ausgeschöpft, um möglichst VIEL geld aus der sache rauszuholen.
aber sozialismus, merkantilismus oder was auch immer fördern ebensowenig "die kunst", wie der kapitalismus sie einschränkt. ganz im gegenteil: in allen kommunistischen oder sozialistischen staaten (jaja... inwieweit diese bezeichnungen wirklich angemessen sind, ist schon wieder eine andere frage) fand eine ganz krasse zensur der musik statt. auch wenn das unter umständen die musik betraf, die du gerne von der bildfläche haben würdest, kann zensur doch wohl kaum im sinne "der kunst" sein.
im kapitalismus dagegen hat jedes produkt gleiche chancen auf dem markt. das eine produkt verkauft sich besser, das andere schlechter. da es aber für so gut wie alles eine nachfrage gibt, läßt sich auch mit allem geld verdienen. aus diesem grund wird es im kapitalismus immer förderer "der kunst" geben, so lange sie nachgefragt wird. und ich denke, dieses forum ist ein gutes beispiel dafür, dass eine derartige nachfrage in keinster weise gefährdet ist.
natürlich ist es schön, wenn man anhand von so griffigen beispielen mal einen rundumschlag gegen das gesamte system führen kann, leider ist das in diesem fall aber völlig unreflektierter blödsinn.
Die Musik ist in ihrer Essenz hingegen eine sehr direkte Möglichkeit emotional, über sprachliche Mittel hinaus, zu kommunizieren. Eine Tätigkeit also, derer in ihrer bloss Ausübung schon der Schlüssel zur Glückseligkeit (griech. ευδαιμονία, vergl. Aristoteles
Nikomachische Ethik) innewohnt. Dies ist eine unumstössliche, sich über gesellschaftliche und kulturelle Zeitgeisterscheinungen erhebende Erkenntnis, die im Gegensatz zur nimmersatt machenden Jagd nach Schotter eine wahre Chance auf Erfüllung bietet.
abgesehen davon, dass ich das griechische wort für glückseligkeit nicht kennen muss, um zu wissen, dass aristoteles dir für den schluss "musik ist der schlüssel zur glückseligkeit" eine phänomenale ohrfeige verpassen würde, möchte ich auch ein zitat anführen: "du sollst nicht von dir auf andere schließen." leider hab ich den urheber dieses genialen ausspruchs gerade nicht parat und weiß auch nicht, wie ich es in die originalsprache übersetzen kann, der punkt ist allerdings: nicht jeder mensch betrachtet das musik machen als weg zum glücklich sein. das magst du tun, ich tue es auch, aber der heinz vonne baustelle nebenan tut es wahrscheinlich nicht. vielleicht aber doch, ich kann nicht in ihn hineingucken. ich kann aber auch nicht in den ackermann reingucken und sehen, dass er mit all seinem geld tief unglücklich ist.
vielleicht ist die jagd nach schotter die sammelleidenschaft, die einigen menschen zu ihrem lebensglück verhilft. wer weiß? ich nicht, und du auch nicht.
In der Praxis lässt sich ein solches Ideal natürlich nicht immer aufrecht erhalten. Speziell, wenn die Existenz vorrangig ist, muss die Selbstverwirklichung hinten anstehen.
so schaut es aus. und ich hänge sogar ein sehr deutliches leider hintendran
.
Aber auch hier kann man sich fragen, welchen Lebensstandard man denn nun benötigt
und auch hier kann ich dir nur voll zustimmen...
und ob der Verlust von Freiheit und Selbsterfüllung durch 16:9 HDTV, iPod und eventuellem Applaus von den billigen Rängen tatsächlich entsprechend kompensiert werden kann.
... aber hier halt nicht mehr. wie aus alledem weiter oben hervorgeht: kommerzielle musik zu machen bedeutet in keinster weise verlust von freiheit und selbsterfüllung. da fehlt jeglicher logischer zusammenhang.
nicht, dass ihr mich von fortan als bösartige kapitalistenheuschrecke seht: ich finde, DSDS und konsorten ist musikalisch gesehen übelster schund, und darüber hinaus - was ich persönlich viel schlimmer finde, als eure musikbedenken - eine radikale und rücksichtslose ausnutzung, fast schon ein missbrauch naiver jugendlicher, der eigentlich per gesetz verboten werden sollte. ich würde mir wünschen, dass die musikindustrie das geld in nachwuchsförderung steckt und neue ideen nach oben bringt. leider tut sie das nicht, das finde ich sehr schade.
ich sehe aber zwei probleme, mit dem ganzen so umzuspringen, wie ihr es hier tut.
zum einen ist es wahnsinnig herablassend gegenüber den vielen menschen, die diese musik eben doch hören und gut finden. niemand hier hat ein recht, diese leute in der art zu beleidigen, wie es hier getan wird.
zum anderen gefährden solche aktionen "die kunst", was auch immer man darunter versteht, in keinster weise. die leute, die aus innerem drang heraus musik machen, werden durch derartige konzepte nicht daran gehindert (vielleicht tritt sogar mit einer art trotzreaktion das gegenteil ein - siehe die grunge-welle anfang der 90er). und gerade dank dem internet ist die verfügbarkeit solcher "kunst" heutzutage sogar besser denn je. also, es gibt keine gefahr für "ehrliche musik".