Foto an der Wand

[Teestunde]

Foto an der Wand

Fühl noch deutlich, wie dein Griff sich löste,
mein Gemüt war nicht mehr dein Besitz,
fühl noch, wie die Blöße Angst einflößte.
Für dich war mein Aufbegehrn ein Witz.

Von der Helle ungewohnt geblendet,
zögerte ich vor dem Weg ins Licht,
nur die Hoffnung, dass es so nicht endet,
gab den ersten Schritten ihr Gewicht.

Ein Schwanenpaar
verliebt die Hälse schmiegt
zu einem Herz –
ein Menschenpaar,
wo einer sich verbiegt
aus Angst vor Schmerz…

Meine Welt war voller Fragezeichen,
wie geb ich dem Eigen-Sinn Gestalt,
statt nur wieder vor ihm auszuweichen?
Bietet leere Luft den Träumen Halt?

Ja, es stimmt, mir ging es immer schlechter,
Mut allein macht noch kein Wunder wahr,
noch dazu dein Freundeskreis als Wächter,
der mich schon zu Kreuze kriechen sah.

Ein Schwanenpaar
verliebt die Hälse schmiegt
zu einem Herz –
ein Menschenpaar,
wo einer sich verbiegt
aus Angst vor Schmerz…

Ich will meine Innenwelt belichten,
um zu merken, was mich retten kann.
Alle diese Tapferkeitsgeschichten
aus Romanen gehen mich nichts an.

Lang genug versklavt vom Bild der Treue,
welche bis ans Lebensende währt,
klappt es manchmal schon, dass ich mich freue,
weil mein Zug in Gegenrichtung fährt.

Ein Schwanenpaar
verliebt die Hälse schmiegt
zu einem Herz –
ein Menschenpaar,
wo einer sich verbiegt
aus Angst vor Schmerz…

 

[Teestunde]

Tja, da wär also meine Reaktion auf die Kommis von "Schwanenpaar".

 

[Turquoise]

Mich würde mal interessieren, wie glaubhaft du dann "Foto an der Wand" findest. Das ist ja nun das ganze Gegenteil von "Ein Schwanenpaar". Finde ich jedenfalls.

Du hast um eine Meinung gebeten. Okay - ich schreibe noch einmal etwas dazu. Aber das soll es dann auch gewesen sein.

Wenn ich den Text durchlese, sehe ich ein ähnliches Setting, wie in all Deinen (oder den meisten) andere Liebestexten:

Deine Protagonisten leiden unter der Unmöglichkeit, lieben zu können. Sie sehnen sich nach Liebe, sie wollen lieben und geliebt werden. Aber sie scheitern alle, immer und immer wieder. Weil sie - das ist mein Eindruck - nicht wissen, was Liebe ist.

Sie haben ein Bild, eine Vorstellung von Liebe, die irgendwie kitschig ist, wie Zuckerschnecken von Jahrmarkt. Und dieses Bild von Liebe zerschellt an der Realität, weil Menschen sich plötzlich ganz anders verhalten, als man es von ihnen erhofft. Vor allem aber, weil die Akteure unter einer Sache leiden, die der Tod der Liebe ist: sie sind alle selbstbezogen. Sie suchen im anderen das, was sie glücklich macht, nicht das, was den anderen glücklich macht.

Ich bin christlich erzogen worden. Mir wurde schon sehr früh beigebracht, dass Liebe das Wohl des anderen sucht, nicht das eigene. Man hat uns das beigebracht, nicht um uns einen Weg in die Unterdrückung zu weisen, sondern weil man uns das Wissen für ein gelingendes Leben an die Hand geben wollte. Und weil es ein Vorbild dafür gibt: Gott als die Verkörperung von Liebe ist handelt so: er sucht das Wohl der Menschenkinder, nicht sein eigenes. Er nimmt sogar unendliche Schmerzen in Kauf, um uns etwas Gutes zu tun.

Ich will nicht behaupten, dass ich darin (-> das Wohl der anderen zu suchen) besonders gut gewesen wäre. Aber dass das, was uns beigebracht wurde, vollkommen und über jeden Zweifel erhaben wahr ist, hat mir das Leben hunderttausendmal bewiesen.

Deine Protagonisten wissen das nicht. Es hat ihnen nie jemand gesagt, dass Liebe etwas anderes ist als das, was sie dafür halten.

Im obigen Text wird das deutlich, wenn Dein LI meint, "Stärke" beweisen und sich von dem alten Treuegedanken emanzipieren zu müssen. Weg mit den alten Zöpfen!, würde popnapp sagen. Doch die "Freiheit", von der dieses LI und zahlreiche andere Deiner LIs nicht lassen will, hat auf der anderen Seite der Medaille die Einsamkeit.

Liebe und Freiheit funktionieren nicht zusammen. Liebe bedeutet immer zu einem gewissen Grad Unfreiheit. Es gibt etwas Böses in dieser Welt, das uns diese Unfreiheit als etwas Schlechtes auszureden versucht. Und sehr, sehr viele - in der Mehrzahl Frauen - sind ihm auf dem Leim gegangen. Sie haben einen bitten Preis dafür gezahlt. Den Preis, den Deine LIs immer und immer wieder bezahlen: sie sind einsam, verlassen und finden keinen, der sie glücklich macht.

So gesehen sind Deine Liebestexte sogar ein ziemlich treffender Spiegel unsrer Gesellschaft. Denn die Sehnsucht, dass der andere die eigenen Wünsche und Sehnsüchte zu stillen vermögen möchte, liegt wie Mehltau über der gegenwärtigen Beziehungsmalaise.

Wenn Du damit nichts anfangen kannst, dann können wir es ja dabei belassen, dass wir beide einfach unterschiedliche Vorstellungen von Liebe haben.

 

[Teestunde]

Meine Vorstellungen von Liebe sind nicht die des LI. Ich war von 1987 bis 2014 immer mit demselben Mann zusammen. Bis zu seinem Tod. Liebe war einfach da. (Gute Hookzeile übrigens.) Ich glaube eher, es ist die extrem schwierige und wahnsinnig anstrengende Beziehung zweier wichtiger Bezugspersonen, die ich immer wieder aufarbeite. Ich sollte mich von dem Thema wirklich langsam mal lösen. Eigentlich reicht es, dass mir von deren Egoismus schon die Kindheit versaut wurde. Ich schöpfe wahrscheinlich unbewusst immer wieder aus dieser Quelle. Ich werde mal alles, was ich dazu noch schreibe, in eine Mappe tun, statt es zu veröffentlichen. Wenn ich dann 100 Texte beisammen habe, werfe ich alles weg. Jemand hier aus dem Forum hat mir schon mal geraten, den aufreibenden persönlichen Kram einfach für mich zu behalten.