Lebensabend - Chansontext

[Teestunde]

Lebensabend

Schnee sinkt unentwegt,
macht den Abend weiß,
macht die Straßen leis...
Ich steh unbewegt:
Aus der Wohnung dort
dringt ein Walzer her,
wie das ferne Meer
rauscht in einem fort;
wie ein weicher Wind
in die Haare greift,
mir die Strähnen streift,
als wär' ich sein Kind,
und er der Papa
Sieh, ich bin doch da,
sieh, ich bin doch da,
sieh, ich bin doch da...

Ungelenk und krumm
dreht sich wie zu zwein
eine Frau allein
um den Tisch herum,
tanzt im Kerzenlicht
vom Adventsgesteck,
kommt nur schwer vom Fleck,
doch das kümmert nicht.
Niemand ist dabei,
der jetzt etwa lacht,
der sich lustig macht,
also tanzt sie frei,
wiegt sich wunderbar.
Ist ja keiner da,
ist ja keiner da,
ist ja keiner da...

Und ich steh und steh,
stehe atemlos,
Augen übergroß;
dazu sinkt der Schnee...
Wann hat je ein Bild,
wann ein Walzerklang,
süß und sehnsuchtsbang,
mich so tief erfüllt?
Nein, noch nie zuvor!
Husten schüttelt mich
plötzlich fürchterlich
und die Angst - wovor?
Ach, und sie steht starr!
Ist hier einer da?
Ist hier einer da?
Ist hier einer da?

Meiner Tänzerin
stürzt die Kühnheit ein,
sie wird winzigklein,
blickt zum Fenster hin.
Könnt’ ich ihr Gesicht
halten in der Hand,
wie ich’s tanzend fand;
doch das kann ich nicht.
Zwischen mich und sie,
ängstlich, aufgebracht,
hastig losgemacht,
stürzt die Jalousie.
Wo ein Wunder war,
ist nun nichts mehr da,
ist nun nichts mehr da,
ist nun nichts mehr da..

 

[sennahuen]

mensch, mal abgesehen von einigen kleinigkeiten, die mir aufgefallen sind: guter text! insbesondere das ende finde ich großartig, weil es für mich ein wenig unerwartet kam und mit einem fünkchen witz versehen, dem text einen abschließenden pepp gibt. auch die grundidee gefällt mir sehr, ich habe das bild sofort vor meinen augen!
ich könnte jetzt auf einzelne worte oder wendungen eingehen, die mir geschmacksmäßig nicht so gefallen, aber nur, wenn du magst.
gut geschrieben!

 

[MamaMuuht]

@ Teestunde

Der Text gefällt mir gut. Ich sehe sofort einen Songfilm im Kopf, der mich berührt. Und mich auch mit der Protagonistin im positiven Sinn verbindet.
Eine Zeile lässt mich etwas stolpern im Film . Die Husten schüttelt mich Zeile ist, so finde ich, etwas unglücklich und ein (ungewollter?) Kontrast zu dem Sprachstil den der Rest des Textes prägt.
Und wirkt dadurch etwas komisch auf mich, was sicher nicht deine Intention ist. Wie gesagt auf mich wirkt das so.
Über eine weitere Zeile lohnt es sich aus meiner Sicht nachzudenken.
Die Adventsgesteckzeile. Der einzige Hinweis auf die Weihnachtszeit in der die " Story " spielt. Engt meiner Meinung nach die Vertonung etwas ein.Dabei ist der ganze Text gar nicht orientiert auf Weihnachten, eher auf Winter. Klar, so ein christliches Symbol wie das Adventsgesteck passt da schon gut rein. Aber engt für mich etwas den Kreis derer ein, die sich mit der Frau identifizieren wollen oder können.
Jetzt mal Zielgruppen orientiert gedacht....Kann aber auch Quatsch sein und einfach damit zu tun haben, das ich mich seit einigen Jahren dem klassischen Adventsgesteck verweigere.
Vielleicht eine Alternative:

Tanzt im Kerzenlicht
ihre Sorgen weg.

Liebe Grüße

Jörg

 

[asli]

Hi Teestunde,

gefällt mir wirklich gut. Ich hatte, ähnlich wie Jörg, gleich einen Film vor Augen.

LG

Asli

 

[Teestunde]

@alle: Danke!

@senna: Gerne! (auf einzelne Worte oder Wendungen eingehen)

@Mama: Ich werde mir den Text noch mal vornehmen. Mal sehen, ob ich vom Adventsgesteck loskomme. (Zweifel!) Der Husten ist "notwendig", damit die Frau im Zimmer den heimlichen Zuschauer draußen bemerkt. Im Moment fällt mir (noch) nichts Besseres ein.

@asli: Freu mich, dass du dich meldest. Tut mir jetzt noch leid, dass du dein Melodie ("Pyramide") wieder zurückgenommen hast. Ich schick dir gern noch mal die letzte Textversion.
(Falls dir zum "Lebensabend" was einfällt, nicht wieder zu bescheiden sein.)

Falls wir uns nicht mehr schreiben: Frohes Fest und guten Rutsch ins neue Jahr! Liebe Grüße von Teestunde

 

[Teestunde]

@Mama: Ach so, mir fällt noch ein: Es sollte zum Ausdruck kommen, dass die Frau zum Advent mutterseelenallein ist. Damit können sich doch bestimmt viele alte Leute identifizieren. Aber ich will das jetzt nicht schönreden. Morgen gehe ich den Text noch mal durch. LG T.

 

[artname]

Hallo Teestunde

Der Text ist mir (noch) zu inkonsequent. Warum erhebt sich die Autorin über ihre Figur? Warum ist sie nicht mit jeder Faser selber die Figur? Ein wenig von sich und ein wenig von ihr... hm das ist mir (noch) zu wenig.

Ich gebe zu, liebe Teestunde, ich erwarte da viel von Dir...

So erwartungsvoll kann ich allerdings nur schnacken, weil ich dein stimmungsvolles Gebilde gelesen habe

Frohes Fest

Edit:

Eine interessante Reimstruktur, die du da verwendest! Auch der - von den Kurzzeilen diktierte - Rhythmus gefällt mir gut. Sehr schön

 

[holgi]

Die letzte Strophe bringt eine neue Sichtweise, das Szenario klärt sich auf, das hätte es in meinen Augen nicht gebraucht.

Strophe eins und zwei finde ich sehr anrührend, und wäre dort der Begriff "Walzer" nicht gesetzt, funktionierte es wohl auch weit besser als universelles Bild, quasi generationsübergreifend, denn das ist ja ein uraltes Lebensszenario welches hier aufgezeigt wird, wie geschreiben, finde ich sehr gelungen.

Was in den letzten beiden Strophen gesagt wird, vor allem der letzten, ist an sich nicht nötig, wenn ich es entscheiden würde.

 

[Teestunde]

@artname:
Warum erhebt sich die Autorin über ihre Figur?

Den Satz versteh ich nicht. Sie erhebt sich doch gar nicht über die Figur. Kannst du mir noch ein, zwei Hinweise geben, wie du das meinst? LG T.

@holgi:
Den Walzer "brauchte" ich, um das Alter der Dame zu zeichnen. Da tanzt keine Frau im besten Alter, die sich schon auf die gleich eintreffenden Gäste freut, sondern eine uralte, alleingelassene Frau, die es für einen Moment wagt, in Erinnerungen zu schwelgen, bevor der Schreck des Beobachtet-Werdens alles zum Einsturz bringt. Dafür "brauchte" ich auch die Jalousie, die ich mir ungern ausreden lassen will. LG T.

 

[holgi]

@teestunde

Kann ich gut verstehen, aber mein Eindruck war der, das es ohne den "Walzer" und der letzten Strophe (evtl. sogar der vorletzten) auf mich universeller funktioniert, und da hätte ich mehr Freude dran.

Aber natürlich ist es dein Text und du entscheidest, wär ja noch schöner

 

[artname]

Hallo Teestunde,

Die alte Frau scheint sehr einsam zu sein. Seltsam, dass sie allein Walzer tanzt, drückt ihre Einsamkeit mehr aus, als säße sie weinend da. Sie findet sicher keinen mehr, der mit ihr tanzt. Diese Zeit ist endgültig vorbei. - Über die Beobachterin (Autoren-ich) ist dergleichen nicht bekannt. Sie steht quasi im Dunkeln und darf die Alte (und sich) nach Lust und Laune bemitleiden.

Man nehme das mal als Filmszenen. Die Alte tanzt einsam. Emotionale Bilder. Die Andere steht im Dunkeln. Von ihr wird nichts gezeigt. Sie ist, wie der Zuschauer auch, nur Voyeur. Im Gegenteil, ihr Frösteln dient lediglich der Aussage: mir geht es (noch) besser. Ansonsten wäre sie vertrauter mit der Situation der Alten. Würde statt Selbstmitleid vielleicht solidarisches Mitgefühl empfinden, dass Andere genauso mit ihrer Einsamkeit klarkommen (müssen). hart gesagt, denunziert die Beobachterin die Tänzerin. Die komische Tänzerin.

An dem Film interessiert (mich) aber überhaupt nicht die oberflächlich gezeichnete Beobachterin, sondern das Schicksal der Tänzerin. Die hast du erweckt wie eine schlafende Puppe. Nun gib ihr Leben!


Ich vermute ähnliche Empfindungen bei Holgi. Freut mich, das vermuten zu dürfen

Lg

 

[Teestunde]

@artname: Mit dem Wort DENUNZIERT komme ich überhaupt nicht klar. An welcher Stelle wird die Tänzerin von der Anderen denunziert? Für mich ist auch die Frage interessant, was die Andere am Adventsabend allein draußen auf der Straße sucht. Das will ich nicht weglassen, indem ich nur die Tänzerin beleuchte. Im Grunde blickt die Andere, indem sie die Tänzerin beobachtet, auf ihre eigene Einsamkeit. Und sie findet die alte Frau keineswegs komisch. Wo steht das? LG T.

 

[Teestunde]

@holgi: Mir kam es vor allem darauf an, die bestürzende Bescheidenheit der einsamen alten Frau zu zeichnen. Dass sie die Jalousie herunterlässt, als sie sich bei ihrer Sehnsucht ertappt fühlt. Das möchte ich nicht weglassen, weil es mir genau darauf ankam. LG T.

 

[artname]

Schade Teestunde. ich habe den Eindruck, du willst mich nicht verstehen. Ich schrieb meine Begründung doch eindeutig und klar. Die Alte tanzt im Hellen. Die Beobachterin denkt im Dunkeln. Mich interessiert die Alte. Die Ursache. Die Hauptperson. Nicht dieses raunende Selbstmitleid aus der Dunkelheit. Ähnlich wie Holgi finde ich DAS verzichtbar.

Für mich ist auch die Frage interessant, was die Andere am Adventsabend allein draußen auf der Straße sucht.

Mich auch!!! - Und warum schreibst Du dann nicht darüber?

 

[Rex]

@Teestunde

Schönes Spannerepos!
Ne war nur ein kleiner Scherz.

Text gefällt mir recht gut.


Drei Stellen, die mir nicht so toll gefallen und die man ev. überarbeiten könnte

das ferne Meer

passt nicht ins Stimmungsbild

und die Angst - wovor?

frag ich mich auch? Klingt eher nach Zweckreim

Zwischen mich und sie,

Das ist ne Stolperfalle. Würde den Vierzeiler umstellen oder diese Zeile ändern.



Dafür, dass du mit Weihnachten eigentlich nicht viel am Hut hast, kaust du auf diesem Knochen aber recht ausgiebig.

Na ja sind ja nur noch vier Tage.

Wünsche schon mal ein frohes Fest!

 

[Teestunde]

@artname: Raunendes Selbstmitleid aus der Dunkelheit? Wieso Selbstmitleid? Die Angst davor, dass sie eines Tages genau so einsam sein wird, muss doch nicht gleich als Selbstmitleid gebrandmarkt werden. Das finde ich ein bisschen überheblich und es macht mich auch traurig. Kann ja sein, dass dich die Tänzerin mehr interessiert. MICH interessiert der Moment, wo die alte Frau sich ertappt fühlt und die Jalousie herunterlässt. Dazu hätte sie keine Veranlassung, wenn niemand sie beobachten würde. Dass die Andere genau im Augenblick ihres größten Mitempfindens der Einsamkeit aus Versehen alles zerstört. DAS ist für mich der Schreibanlass gewesen. Mit Selbstmitleid hat das nichts zu tun. Aber da reden wir wohl aneinander vorbei. LG T.

 

[Teestunde]

@Rex:
das ferne Meer - stimmt, da kommt eine Stimmung mit rein, die in diesem Lied eigentlich nichts zu suchen hat.
und die Angst wovor - Angst vor Einsamkeit, davor, dass sie eines Tages genau so allein sein wird... Kommt nicht rüber? Schade! Ein Zweckreim war es jedenfalls nicht.
zwischen mich und sie - Stolperfalle? Inwiefern? Ich lese das ganz normal. Wo hakt es?
Danke jedenfalls für deine Hinweise. Das mit dem Meer werde ich unbedingt beherzigen, da hast du recht. LG Teestunde

Auch dir ein frohes Fest und einen guten Rutsch!

 

[artname]

Liebe Teestunde,

Ich will dich überhaupt nicht verletzen. Ich schätze deine Arbeit. Ich würde mich freuen, wenn du DAS fühlen könntest. - Aber ich will auch deutlich verstanden werden. Schon aus Zeitgründen. Aber nicht nur.

Und deshalb sage ich "Selbstmitleid", wo ich auch von "Mitgefühl" schreiben könnte. Und sage "denunzieren", wo ich auch "oberflächlich dargestellt" schreiben könnte.

Ich gehe davon aus, daß Du vermutlich Deine Schreibmotive (u.a, Einsamkeit) auf zwei Personen verteilt hast. Ich weiß nicht, ob Du diese Ansicht nun hinterher mit mir teilen kannst . - ICH würde alle diese Motive einer Person zumuten. Damit sie an Tiefe gewinnen kann.

Was unterscheidet denn beide?

Dass Momente größten Mitempfindens alles zerstören können, mag es geben. Oberflächlich gesehen. Betrachtet man es tiefer, dann ist es NUR die gegenseitige Fremdheit, die uns zurück schrecken lässt. Aber DAS ist doch nichts Ungewöhnliches. DIESE Aussage wäre ein recht dürftiges Ergebnis deines Textes.

Aber tatsächlich baust du im Moment noch eine Story (mit sehr schönen Worten) auf, in der eine Fremde eine Fremde beobachtet und diese verärgert ist, angestarrt zu werden. Das Ist mir zu wenig. Aber die tanzende Alte - das halte ich für etwas Besonderes. Die wirft viele Fragen auf. Das bewegt meine Phantasie

Gut, es ist eventuell für den Moment alles gesagt.

Lg

 

[Marc1610]

Zwischen mich und sie,

Ich schmeiß mich weg

Da klingt, misch und disch, ja besser

Da du der Beobachter bist hätte ich Zwischen ihr und mir geschrieben, das muss sich auch nicht zwingend auf Jalousie reimen.

 

[Rex]

@Teestunde

und die Angst wovor - Angst vor Einsamkeit, davor, dass sie eines Tages genau so allein sein wird... Kommt nicht rüber? Schade! Ein Zweckreim war es jedenfalls nicht.

Dachte ich mir schon, kommt im Text aber nicht klar rüber. Und weshalb dann das "wovor?"? Wenn dein LI Angst haben sollte vor etwas, sollte es auch wissen wovor und nicht in der nächsten Millisekunde schon wieder vergessem haben.

Besser wäre dann:

und die Angst - davor!

zwischen mich und sie - Stolperfalle? Inwiefern? Ich lese das ganz normal. Wo hakt es?

Für mich ist das ungewohnt beim Lesen und sowas vereinfacht das Vertonen nicht. Wie ein falscher Akkord, der dann noch weitere drei Takte (bzw Zeilen) bis zur Endauflösung mitschwingt.
Weitaus geschmeidiger ist da Marcs (normaler) Wortwahlvorschlag:


"zwischen Ihr und mir".



oder halt zumindest umstellen, dann klappt auch der Reim noch. Und bringt auch mehr Tempo in den Text rein.


ängstlich, aufgebracht,
hastig losgemacht,
stürzt die Jalousie
zwischen mich und sie,